Dieser Roman kostet Kraft

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
buchputtel Avatar

Von

Triggerwarnung: psychische Gewalt!
Ich habe lange kein Buch in diesem Format gelesen. Kein Buch, welches mich emotional so ergriffen und gleichzeitig so sprachlos zurückgelassen hat.
Ein dunkles Kapitel der deutschen Nachkriegsgeschichte: die "Verschickungskinder". Die 8jährige Susanne wird zur Erholungskur an die Nordsee geschickt. Was sie im "Haus Morgentau" erleben muss, hat allerdings mit Erholung so gar nichts zutun. Sie erlebt Gewalt, Erniedrigung, emotionale Kälte und harte Disziplin.
" Die Kleidung wird zugeteilt, die Kuscheltiere weggenommen." S.58
"Ihr wisst ja, erst müssen die Teller leer sein, dann dürft ihr aufstehen (...) begann wieder zu weinen, leise, diesmal eine weinen, voller Hoffnungslosigkeit.! S.65
Die Autorin wechselt im Buch zwischen der Vergangenheit 1969 und der aktuellen Zeit (2018). Aufgrund des Wechsels erleben wir Susanne als junges, kleines Mädchen und als erwachsene Frau. Ein beeindruckender Roman, der mich an der einen oder anderen Stelle schlucken lies. Die Autorin schafft es zwei unterschiedliche Stimmungen und Geschichten zu schaffen, der Szenenwechsel ist absolut passen gewählt und angenehm ineinander verflochten.
Bitte vom Cover nicht abschrecken lassen, dieses zeigt lediglich, was man zu erwarten dachte. Die Realität der Kinder sah ganz anders aus. Und dieses Realität zieht sich bis heute in die Köpfe vieler Menschen:

"Ich wollte nur vergessen, ich wollte seit meinem neunten Lebensjahr nur vergessen und so tun, als ob es vorbei wäre. Die Alpträume handeln immer vom Haus Morgentau. Immer. Ich bin dann wieder klein und mache ins Bett und Tante Erna steht neben mir und ich habe Todesangst." S. 269

Gut, dass wir unsere Kinder heute nicht mehr "mit der Hand erziehen" (S.177), und endlich genug Wissen darüber haben, was eine gewaltvolle Erziehung mit sich bringt.