Eine bewegende Reise in die Vergangenheit

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Dies ist weit mehr als nur ein Buch – es ist eine zutiefst berührende und packende Zeitreise, die mich von der ersten Seite an gefangen nimmt. Mit einer beeindruckenden Sensibilität und Sprachgewalt entführt uns Leciejewski in die 1960er Jahre und beleuchtet ein dunkles Kapitel der deutschen Nachkriegsgeschichte: die Kinderverschickung.

Schon der Titel birgt eine faszinierende Ambivalenz. "Am Meer ist es schön" – diese oft gehörte, wohlwollende Floskel, die doch so viel Leid und Entwurzelung verbergen konnte. Leciejewski gelingt es meisterhaft, diese Diskrepanz aufzuzeigen und den Blick auf die oft traumatischen Erfahrungen der "Verschickungskinder" zu lenken.

Die Autorin erzählt die Geschichte von Susanne, die als Kind mehrere Wochen in solch einer Verschickungseinrichtung "Urlaub machen durfte". Mit jeder Zeile spürt man die akribische Recherche und das tiefe Einfühlungsvermögen der Autorin in das Schicksal ihrer Protagonistin. Sie beschreibt nicht nur die äußeren Umstände, wie die Trennung von zu Hause, die oft kalte und lieblosen Atmosphäre in den Heimen, die rigiden Regeln und den Mangel an Zuneigung, sondern dringt auch in die seelischen Abgründe und die langfristigen Narben ein, die diese Erlebnisse bei den Kindern hinterlassen haben. Es ist die beklemmende Darstellung der Gefühle von Einsamkeit, Angst und dem Verlust der kindlichen Unbeschwertheit, die einen wirklich packt.

Was dieses Buch so herausragend macht, ist die Art und Weise, wie Leciejewski die Vergangenheit mit der Gegenwart verwebt. Susanne muss sich als Erwachsene ihren Erinnerungen stellen, um endlich Frieden zu finden. Dieser Prozess ist schmerzhaft, aber auch unglaublich authentisch und nachvollziehbar dargestellt. Man fiebert mit Susanne mit, hofft, dass sie ihre innere Balance wiederfindet und bewundert ihre Stärke, sich der Wahrheit zu stellen.

Leciejewski scheut sich nicht, unbequeme Wahrheiten auszusprechen. Sie zeigt auf, wie das System der Kinderverschickung, das vordergründig der Genesung dienen sollte, in vielen Fällen zu einer traumatischen Erfahrung wurde, die das Leben der Betroffenen nachhaltig prägte. Sie regt zum Nachdenken an über Verantwortung, über das Verschweigen und Verdrängen und über die immense Bedeutung von Fürsorge und Geborgenheit in der Kindheit.

"Am Meer ist es schön" ist ein absolut lesenswertes Buch für alle, die sich für deutsche Zeitgeschichte interessieren, aber auch für jene, die eine zutiefst menschliche Geschichte über Heilung und die Suche nach der eigenen Identität suchen. Barbara Leciejewski hat mit diesem Roman nicht nur ein wichtiges Stück Erinnerungskultur geschaffen, sondern auch ein literarisches Meisterwerk, das lange nach dem Zuschlagen der letzten Seite nachklingt. Ein Buch, das man gelesen haben muss!