Nicht zu glauben

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pajo47 Avatar

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Verschickungskinder, diesen Ausdruck hatte ich bisher nicht gehört. Ich wusste natürlich, dass früher Kinder, die aus irgendeinem Grunde, weil sie zum Beispiel zu schmächtig waren, einige Wochen zu einer Kur in einem Kinderheim verbringen konnten. Dass der Aufenthalt in diesen Heimen für Kinder aber auch der schlimmste Horror sein konnte, war mir nicht bekannt.

Barbara Leciejewskis Hauptprotagonistin in ihrem Roman ist die achtjährige Susanne, die sich einige Wochen im Haus Morgentau in St. Peter-Ording erholen soll. Der Tagesablauf dort ist bis ins Kleinste geregelt. Wer gegen eine der Regeln verstößt, wird hart bestraft durch stundenlanges Einsperren im dunklen Keller oder ebenfalls stundenlanges Stehen auf einem Stuhl. Wer seinen Teller nicht leer isst, muss solange am Tisch sitzen bleiben, bis der Teller geleert ist. Schläge sind an der Tagesordnung. Die Tanten sind sehr erfinderisch mit ihren Strafen, die sie Erziehungsmaßnahmen nennen. Das Schlimmste aber ist, dass die Eltern Susanne nicht glauben, was sie nach der Rückkehr erzählt.

Diese Handlung ist eingebettet in eine zweite Handlung etwa 50 Jahre später. Susannes Mutter liegt im Sterben und zum ersten Mal erzählt Susanne von den damaligen Ereignissen.

Die Überschrift "Nicht zu glauben" trifft gleich mehrfach zu. Es ist nicht zu glauben, dass es so viele Jahre nach dem Krieg noch derartige Erziehungsmethoden gab. Es ist nicht zu glauben, dass viele Leute diese Erziehungsmethoden normal fanden. Es ist nicht zu glauben, dass den Kindern nicht geglaubt wurde. Und es ist nicht zu glauben, dass ich das bis zur Lektüre des Romans nicht gewusst habe.

Ich habe die Lektüre nur ungern unterbrochen. Am liebsten hätte ich es in einem Rutsch durchgelesen.