Ein geniales Buch, zutiefst berührend

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Am Tag des Weltuntergangs verschlang der Wolf die Sonne
„The wounded child inside many females is a girl who was taught from early childhood that she must become something other than herself, deny her true feelings, in order to attract and please others.”
Bell Hooks

In ihrem Debütroman setzt sich Sina Scherzant mit der Überanpassungsfähigkeit von Frauen, dem „People-Pleaser“-Phänomen auseinander.
Die Ich- Erzählerin Katha erzählt aus dem Blickwinkel einer Teenagerin, später dem einer erwachsenen Frau, sehr intensiv und genau beobachtend über wichtige Phasen ihres Lebens. Sie bezeichnet sich selber als „Lebenshandwerkerin“, die sich vor allem nach der Trennung ihrer Eltern aufopferungsvoll sowohl um ihre jüngere Schwester als auch um ihre Mutter kümmert. Auch während ihrer ersten Kontaktaufnahme mit einem Jungen ist nicht in der Lage, ihr Wünsche zu äußern, passt sich den Bedürfnissen des anderen an. „Und so saß ich da und tat, was von mir erwartet wurde, als Filip seine nach Knoblauch und Kippen schmeckenden Lippen auf meine drückte.“

Als sie die Mutter einer Klassenkameradin kennenlernt, beginnt sie, ihre Rolle zu beobachten und zu hinterfragen.
Angelica ist so ganz anders als die Erwachsenen, mit denen Katha in ihrer Familie zu tun hat, sie ist offen, selbstbewusst und stark. Die Nachmittage bei Angelica, die intensiven Gespräche, das Gefühl wahrgenommen und gesehen zu werden, lösen bei Katha starke Gefühle aus. In den Gesprächen mit Angelica lernt sie viel über sich und sie lernt, sich zu wehren, ihre Meinung zu vertreten, aufzubegehren, raus aus der Anpassung zu gelangen.

Der Verlust dieser wunderbaren Frau, die eine Stütze und auch ein Vorbild für den Kreis der Freundinnen ist, ist für Katha nicht zu ertragen.

Traurig und humorvoll beschreibt die Autorin die grauenhaften Besuche bei den Großeltern der Mutter, die „Arschgeigennachmittage“ (Was sich gehört und was sich nicht gehört.), ihren „Migrationsneid“ auf die Freundinnen, die in den Ferien zu Verwandten in andere Länder reisen, ihre große Liebe und Verantwortung für ihre Schwester, ihre Verachtung für ihre Mutter, die sich verliert. Wenn sie den Alltag nicht mehr erträgt, flüchtet sie in Phantasiewelten.
Sprachlich virtuos, in beeindruckenden Metaphern“ werden wir mitgenommen in die Welt dieser jungen Frau, die in „Stülprozessen“ immer wieder versucht, ihr Inneres zu verdrängen. Ihre atemlosen Gedanken spiegeln sich in atemlosen Sätzen wider.
Die tiefe Liebe zwischen Menschen erfährt eine starke Symbolik.
Ein geniales Buch, zutiefst berührend, unbedingt lesenswert.