Tolles Debüt

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luna80 Avatar

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„Wir sollten aus diesem Spielchen aussteigen. Am Ende profitiert keine von uns davon, wir bremsen uns bloß gegenseitig aus mit dieser Missgunst, dem Neid und der Idee, dass wir mit ausgestreckten Ellenbogen an anderen Frauen vorbeilaufen müssen. So kommen wir nicht weiter.“ (S. 141)

Da stehen wir als Leser*innen. Mitten im Wohnsimmer von Katha, Nadine und ihrer Mutter – und dem Hamster Zlatko, der auch eine tragende Rolle im Buch spielt! Doch die emotionale Rolle der Mutter übernimmt die 14-jährige Katha, ihres Zeichens „Lebenshandwerkerin“. Die Mutter frustriert, ob der gescheiterten Ehe, der neuen an der Seite des Ex, des stressigen Jobs, der fordernden Kinder und eigentlich des gesamten Lebens. Und so tritt Katha in diese Rolle, federt viele Dinge ab, gleicht aus und tut alles, um die Menschen in ihrer Umgebung glücklich zu machen und sie beschützt immer ihre kleine Schwester. Sie fällt nicht auf, sie macht alle fröhlich, passt sich an und stellt ihre eigenen Wünsche immer hintenan. Nach dem sich die Familie trennte, zogen die drei nach Dortmund und die Mädchen besuchten auch neue Schulen. Katha lernte dort ihre neue Clique kennen. Und im Zuge dessen lernt sie Angelica kennen, die Mutter ihrer Freundin. Angelica, die so ganz und gar das Gegenteil ihrer Mutter ist. Lustig, humorvoll, freundlichen, zuhören kann, die Mädchen beschützt und aufbauend.

„Doch meine Mutter war eine Verderberin, die Nadine nicht einfach mit einem glücklichen Tag davonkommen ließ. Einige Menschen besaßen so ein Talent zum Verderben […] – und meine Mutter hatte sehr laut „Hier“ geschrieben, als diese Gabe verteilt wurde.“ (S. 127)

Und so folgen wir der Entwicklung von Katha in dieser Geschichte und ich hat so ein Deja Vu, dass es mir teilweise die Gänsehaut aufzog. Als Teenie der 90er passe ich gut in diese Geschichte. Und in dieser Rolle des Beschützens des kleineren Geschwisterchens kenne ich mich aus – mein kleiner Bruder war ein Stinkstiefel sondergleichen manchmal, aber ich habe immer versucht nix über ihn kommen zu lassen. Daher haben wir vermutlich auch heute diese besondere und vertraute Beziehung zueinander. Ich lieb den einfach sehr!!

Und diese Zerrissenheit, wenn man mit der eigenen Mutter nicht reden kann, aber mit der von der Freundin schon. Und dann kommt da noch das Gefühl von „verstanden werden in seiner Gesamtheit als Teenagerin“. Wie gut konnte ich mich mit ihr identifizieren. Dieses ständige gefallen müssen, sich in eine Clique anzupassen … das hatte ich alles in den 90ern zwischen 13 und 18 Jahren. Hier hat sich in mir ja eine Schlucht aufgetan, als ich darüber nachdachte, welchem Druck wir da damals ausgesetzt waren. Welche Scham viele Mädchen und Jungs eigentlich über uns gebracht haben … ob es bei Marken-Bikinis anfing und langer Wallemähne mit perfektem Body, den ich nie hatte, aufhörte … ich kam da beim Denken überhaupt nicht mehr klar. Es war also schon immer da … es war NIE anders … und heute mit Anfang 40 sitze ich da und schüttle den Kopf über diese Zustände, die uns ja damals gar nicht auffielen … Dieser „Wut-Ausbruch“ bei mir kam erst vor wenigen Jahren, als ich aufhörte mir über die Meinung anderer Gedanken zu machen; Meinungen über meinen Body, meine Beine, meine Haare, meine Figur, meine Arbeit, meine Persönlich … f*ck you all!!
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Danke für dieses tolle Buch – es hat mich nochmal retour katapultiert in die 90er-Clique und den Dauerzustand von Gefühlschaos. An manchen Stellen wusste ich nicht, ob ich lachen oder weinen soll! Super geschafft den Bogen „des jugendlichen Seins zum Druck der Gesellschaft“ zu spannen und zeitgleich auch aufzuzeigen, welchen inneren Strudeln Kinder und Jugendliche oft ausgesetzt sind. Nicht nur im Pool der eigenen Vielfalt mit gleichaltrigen Persönlichkeiten, sondern auch – und das ist eigentlich die Crux, worüber sich Eltern Gedanken machen müssen!! – ihrem Pflichtgefühl, ihrer Loyalität und Liebe gegenüber den Eltern sowie dem Schutz ihrer kleineren Geschwister UND dem Wunsch, dass es allen in einem Familienverbund gut geht, während diese Kids auf sich selbst vergessen!!

„Die Traurigkeit meiner Mutter war eine Ansammlung von Kratern, in die alles hineinfiel, wenn man ihr zu nah kam.“ (S. 80)

Super tolles Debüt - hat mich sehr berührt, zum Lachen gebracht und daher eine fette #leseempfehlung!