Viel Kopfnicken und einige Schmunzler

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lesestress Avatar

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»Die Tränen, die rechts und links an meinen Wangen herabliefen, wurden netterweise von meinem Kissen verschluckt. Danke für die gute Zusammenarbeit.«

Nicht noch ein Coming-Of-Age-Roman schreien die einen, bitte mehr Millenial-Erwachsen-Werd-Geschichten sagen die anderen. Manchmal bin ich unentschlossen zu welcher Gruppe ich selbst gehöre. Für »Am Tag des Weltuntergangs verschlang der Wolf die Sonne« von Sina Scherzant kann ich aber leichthin sagen, dass es mir gut und gerne Monate meines Teenie-Daseins ins Gedächtnis gerufen hat: Manchmal waren das schöne Erinnerungen, manchmal auch weniger schöne – in jedem Fall aber waren sie authentisch.

Anfang der Nullerjahre: Katha zieht nach der Scheidung ihrer Eltern vom Dorf in die Großstadt. Was in der Theorie eine mittelschwere Katastrophe für alle Pubertierenden wäre, ist für sie in der Praxis nur eine weitere Möglichkeit durch ihre Anpassungsfähigkeit zu glänzen. Denn Katha ist ein 1-Personen-Betrieb, der sich der Aufgabe verschrieben hat, es allen recht zu machen. Von klein auf hat sie gelernt, sich anzupassen, sich zu kümmern (auch um ihre jüngere Schwester Nadine) und keinen Ärger zu machen. Unauffällig fliegt sie immer unter dem Radar, versucht Erwartungen zu erfüllen bevor diese entstehen. Da ist es auch wenig verwunderlich, dass sie sich schnell in der neuen Schule einlebt und hier Freundinnen findet: Sofie, Kati, Jessi und Anna nehmen sie erst in ihre Clique auf – und später mit zu Angelica. Diese »Mutter wider Willen« wird mit ihrer unkonventionellen Art innerhalb kürzester Zeit Kathas beste Freundin, Ratgeberin und Ersatzmutter. Sie ist es auch, die alle Mädchen sieht, ihnen zuhört und hilft. Das Glück ihres Kennenlern-Sommers ist perfekt: Die »Damenbande« verweilt im Freibad, liest die BRAVO, schnabuliert Gummischlangen aus dem Kiosk, schaut BIG BROTHER auf Röhrenfernsehern, vertreibt Kindmänner und lässt verstorbene Hamster (beinahe) wiederauferstehen – what a time to be alive! Doch diese Unbeschwertheit verblasst zur Unkenntlichkeit als Angelica schwer krank wird …

Sina Scherzant befasst sich in »Am Tag des Weltuntergangs verschlang der Wolf die Sonne« auf ergreifend-liebevolle Art mit den – nicht immer – alltäglichen Problemen des Teenagerdaseins und lässt Lesende tief in ihre (teils verworrene) Gedankenwelt blicken. In jedem Moment bleibt sie dabei unheimlich nah an ihrer Protagonistin, formt mit Worten ein regelrecht plastisches Szenario, das keines ihrer Gefühle auslässt und auch den popkulturellen Zeitgeist fängt sie beispiellos ein. Katha tut stellvertretend das Alltägliche dieser Epoche, das wir Millenials anscheinend auch alle getan haben. Episodenhaft sorgten ihre Schilderungen bei mir für viel Kopfnicken und einige Schmunzler. Trotzdem fragte ich mich zwischendurch, wo mich die Geschichte hintragen wollte. Irgendwie erschien es mir nicht ganz rund: Zu lange braucht alles, um Fahrt aufzunehmen, besonders im Mittelteil gibt es einige Längen. Dafür kommt das Ende beinahe abrupt. Darauf war ich nicht vorbereitet und musste – von jetzt auf gleich – die schöne Zeitreise in meine eigene Teenagerzeit (erneut) jäh beenden. Die drei Teile in diesem Debüt waren in meinen Augen also nicht ganz ausgewogen erzählt. Allerdings mochte ich die Message, das Setting und viele Feelings und möchte es bei kleiner Kritik daher trotzdem gern empfehlen: es lohnt sich nämlich sehr hier dranzubleiben!