Simple Morde bringen nichts

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r.e.r. Avatar

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Am Anfang von “American Devil” bietet Oliver Stark dem Leser einen interessanten Exkurs in den Bereich der Gehirnforschung. Die Polizeipsychologin Denise Levene hält einen Vortrag über sogenannte “schwarze Flecken“ in den Gehirnen von Serienmördern. Bereiche die völlig isoliert im Hirn existieren. Der Leser erfährt, dass Menschen mit dieser Geistesstörung nicht in der Lage sind Mitleid zu empfinden, Impulskontrollen auszuüben oder die Folgen ihres Handelns einzuschätzen. In schlichten Worten: Sie wissen nicht was sie tun. Der spätere Täter sitzt während dieses Vortrages unerkannt in der ersten Reihe und durchbohrt seinen Oberschenkel mit einer Schraubenspitze. Man ahnt, was auf einen zukommt.

 

In New York treibt ein brutaler Mörder sein Unwesen. Er hat es auf junge Frauen abgesehen. Alle Opfer sind Anfang zwanzig, blond, gutaussehend und reich. Alle wurden auf grausame Art gefoltert, vergewaltigt und erwürgt. Die Abstände zwischen den Morden werden immer geringer, die Taten selber immer blutrünstiger. Die Polizei tappt im Dunkeln, bis der Ermittler Tom Harper mit der Psychologin Denise Levene ein Täterprofil entwickelt und den Killer mit einem Köder aus der Reserve lockt. Der Plan misslingt und ein Wettlauf mit der Zeit beginnt, denn das nächste Opfer ist bereits angekündigt.

 

Oliver Stark hat mit seinem ersten Thriller eine Fleißarbeit abgeliefert. Insgesamt häuft er elf Leichen an. Man gerät beim Lesen direkt außer Puste. Gerade erst hat man eine tote Schönheit verdaut, da liegt die nächste schon wieder an einem unwirtlichen Ort. Dieser Effekt wird noch dadurch verstärkt, dass es sich keineswegs um simple Morde handelt. Jedes Opfer wird anders gequält und zerstückelt. Die grausigen Details werden nicht ausgespart, sondern von Fall zu Fall ausführlicher präsentiert. Mit den Worten des Killers liest sich das so: “Der Kick würde größer sein als jemals zuvor. Genau das war es, was er brauchte. Jedes Mal musste er einen Schritt weiter gehen, jedes Mal ein weiteres Tabu brechen. Simple Morde brachten ihm nichts mehr.”

 

Oliver Stark bietet einen Gänsehautschocker mit einer Mischung aus Sex, Religion und Gewalt. Seine Kapitel sind kurz und dank Orts-, Tages- und Zeitangaben sehr übersichtlich. Man kann der Handlung chronologisch folgen und verliert trotz der vielen Ermordeten nicht den Überblick. Das Buch liest sich leicht, die Sprache ist eingängig.

 

Die Spannung bezieht es jedoch zumeist aus der Anhäufung brutaler Grausamkeiten. Das ist schade. Die Täterfigur zum Beispiel ist eine gespaltene Persönlichkeit. Wann immer der Autor auf diesen Aspekt näher eingeht, entsteht Spannung ohne jedes Zutun von Blut und Gräuel. Leider vertraut der Autor viel zu selten auf den subtilen Horror, den er durchaus beherrscht. Ein weiteres gutes Beispiel dafür, ist der Mord am dritten Opfer Jessica. Der Leser erlebt den Beginn ihres Martyriums, als der Mörder sich ihr zu erkennen gibt und sie begreift, das sie sterben wird. Später finden die Ermittler am Tatort ein Foto, mit der bereits gemarterten, aber noch lebenden Jessica. Hätte es der Autor dabei belassen, wäre es eine überaus perfide Szene ohne jegliches Gemetzel. Leider macht er dann doch nur wieder ein weiteres Blutbad daraus, indem er die Spurensicherung allzu deutlich beschreibt.

 

Meine anfängliche Begeisterung wich am Ende des Buches dumpfer Resignation. Statt sich näher mit seinen vorhandenen Figuren zu befassen, öffnet der Autor neue Handlungsstränge. Ein weiterer Psychopath wird eingeführt und so der finale Showdown eingeläutet. Bei dem natürlich wieder diverse “unschuldige” Figuren einen unappetitlichen Tod sterben. Das ist bedauerlich, weil in Ansätzen erkennbar ist, welches Potential in diesem Autor steckt. Seine Figuren sind stimmig angelegt und teilweise mit einer interessanten Vita umgeben. Die Polizeipsychologin verbirgt beispielsweise, das ihr Vater ein verurteilter Mörder ist. Diese Fäden weiter zu spinnen und damit der Handlung mehr Tiefe zu geben, versäumt Oliver Stark in seinem ersten Werk. Am Ende hat man zwar einen durchaus interessanten Thriller gelesen, aber irgendwie wird man das Gefühl nicht los durch zuviel Blut besudelt worden zu sein.