Marie lebt gefährlich

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Barack Obama hat wie immer recht, wenn er schreibt "Weit mehr als ein Spionagethriller" - denn American Spy, das Erstlingswerk von Lauren Wilkinson, ist tatsächlich nicht nur ein Agentenroman (und ein verdammt guter noch dazu), sondern erzählt atemlos vom gefährlichen Leben einer bemerkenswerten Frau. Das Ergebnis ist ein unvergleichlicher Roman mit einer kraftvollen Storyline, einer präzisen Erzählkraft und einer Protagonistin, die altgediente Spionagethriller-Helden sehr, sehr alt aussehen lässt.

Nachdem Hauptfigur und Ich-Erzählerin Marie Mitchell mit ihrem alten Leben beim FBI abgeschlossen hat, holt die Vergangenheit sie auf dramatische Weise ein: Eines nachts wird ein Mordanschlag auf sie verübt. Sie und ihre Söhne überleben, aber sie ahnt: Das war nur der Anfang. Offenbar will jemand unbedingt eine offene Rechnung begleichen. Sie blickt zurück auf ihr Leben und schreibt es für ihre Söhne auf. Dieses furiose Tagebuch nimmt die Leserin mit auf eine Reise vom New York zu Zeiten des Kalten Krieges bis in die 1990er-Jahre mit einem Zwischenstopp im afrikanischen Burkina Faso, wo Marie einen ganz besonderen Spionage-Auftrag erfüllen muss.

Selten habe ich einen so kühl und lapidar, fast nebensächlich geschriebenen Roman in der Hand gehabt, der dennoch mit einer sprachlichen Wucht aufwartet, die es unmöglich macht, das Buch aus der Hand zu legen. Wie Marie von ihrer von doppelter Diskriminierung als schwarze Frau unter weißen Männern geprägter Zeit beim FBI berichtet, hat mich sehr beeindruckt - vor allem, weil die Protagonistin selbstreflektiert genug ist, sich nicht mit der Opferrolle zu begnügen. Gleichzeitig werden hochdramatische Espisoden präzise und schonungslos dargelegt, ohne Marie als Heldin zu stilisieren. Die ganz nebenbei plastisch dargelegte Familiengeschichte sei hier nur am Rande erwähnt - auch sie ist bemerkenswert.

Alles in allem ein erstaunliches, unvergleichliches Buch, das wärmstens allen Frauen und Männern ans Herz gelegt sei, die handwerklich und kreativ sehr gut gemachte Geschichten schätzen - denn tun wir das nicht alle?