Spannung vereint mit Gesellschaftskritik

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lui_ Avatar

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Das Cover ist sehr gelungen. Es passt durch die hübsche aber nicht näher bestimmte Frauensilhouette perfekt zur Handlung und macht neugierig.

In American Spy geht es um die ehemalige Spionin Marie Mitchell, die von ihrer Vergangenheit eingeholt wird, und deshalb ihr bisheriges Leben und ihre Entscheidungen überdenkt und niederschreibt. Das geschieht rückblickend mit Hilfe von Zeitsprüngen, die sich zwischen den 1960er- und 90er-Jahren bewegen. Anfangs fand ich es deshalb schwer, das Puzzle zusammenzusetzen und mit der Erzählweise mitzukommen, aber da man immer wieder in die drei gleichen Zeitabschnitte zurückkehrt, wurde es zunehmend leichter der Geschichte zu folgen. So erfährt man nicht nur etwas über Maries Gegenwart, sondern man sieht sie aufwachsen, begleitet sie bei ihrem Job beim FBI und ihrer Spionagetätigkeit. Das erleichterte es mir beim Lesen, Marie als Charakter näherzukommen. Ihre Motive und Lebensentscheidungen ließen sich so nachzuvollziehen. Die Erzählweise fand ich aber noch aus einem anderen Grund unglaublich gelungen. Man bekommt bedingt durch die Zeitsprünge nur häppchenweise Informationen serviert und weiß immer nur so viel wie Marie selbst zum jeweiligen Zeitpunkt, was für mich die anhaltende Spannung aufgebaut hat.

Die Charaktere sind detailliert ausgearbeitet worden. Marie ist eine liebevolle Mutter und eine mutige sowie intelligente junge Frau, die sich den Konsequenzen ihrer vergangenen Handlungen stellen muss. Marie erscheint dabei in mehreren Rollen: als brave Tochter, liebende Mutter und schließlich der vielseitigen, sich in ihren Einstellungen und Wünschen wandelnden Agentin. Keiner der Charaktere ist nur schwarz oder weiß gezeichnet, sie alle erscheinen in umfassenden Darstellungen und das machte sie für mich auch ein Stück weit glaubwürdiger.

Es geht aber um weit mehr als nur um eine ehemalige Spionin, die von ihrer Vergangenheit eingeholt wird. Es geht um die Auswirkungen des Kolonialismus, um die Konsequenzen, die schlussendlich aus dem Rückzug der Kolonialmächte entstanden, und die unter anderem ein politisches Machtvakuum schufen. Hierbei sei auch angemerkt, dass im Zuge der Handlung mehrfach geschichts- bzw. politikwissenschaftliche Begriffe fallen, wobei das Wissen um deren Bedeutungsinhalt beim Lesen vorausgesetzt wird. Mich hat das aber nicht weiter gestört. Weiterhin spielen am Beispiel Maries Debatten um Rassismus und die Rolle der Frau in der Männerwelt der amerikanischen Sicherheitsbehörden der 80er-Jahre eine wichtige Rolle. Dadurch gelingt es der Autorin, eine Verbindung zu aktuellen politischen Themen zu schaffen und zum Nachdenken über diese anzuregen.

Insgesamt wurde ich sehr gut unterhalten und unglaublich gefesselt von dieser anspruchsvollen Lektüre. Ich konnte das Buch beim Lesen des letzten Drittels kaum mehr aus der Hand legen. Der Thriller kommt allerdings ohne viel Blutvergießen aus, was auch bedeutet, dass man keinen filmreifen Actionstreifen in Buchform erwarten darf.