Die Schlange mit dem weißen Bauch

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ismaela Avatar

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Alles beginnt mit Giacomo Casadio, einem Einwohner von Stellata, und Viollca, einer eigentlich auf der Durchreise befindlichen Angehörigen des fahrenden Volkes. Durch Regen, Schnee und andere klimatische Unbilden bleiben die Durchreisenden und die beiden Völkchen vermischen sich mit der Zeit. Durch die Heirat von Giacomo und Viollca erwacht ein Familienfluch zum Leben, über den viel getuschelt und gegrübelt wird, und der sich immer dann Bahn bricht, wenn eine Schlange mit weißem Bauch auftaucht und - ich nenne es mal: schlecht behandelt wird. Dabei wird immer darauf gepocht, dass dieser Fluch aus der nicht standesgemäßen Heirat resultiert, dass die Eheleute - und ihre Nachfahren - sozusagen Schuld auf sich geladen haben und die Familie von Unglück und Pech verfolgt werden wird.
Mehr als zweihundert Jahre und sieben Generationen folgt man nun der Familie Casadio und ihren Verzweigungen, und auch wenn es immer mal wieder Tragödien und Todesfälle gab (Kinder ertrinken, Männer sterben bei Aufständen bzw. Kriegen, Frauen sterben bei Geburten oder begehen Selbstmord), hatte ich nicht den Eindruck, dass diese Familie nun besonders vom Pech verfolgt ist. Vor allem deshalb, weil die Frauen jeweils teilweise bis zu zehn Kinder auf die Welt bringen mussten, und diese wiederum sehr fruchtbar unterwegs waren. Da bleiben Tragödien nicht aus.

Schwierig wird es irgendwann, die einzelnen Personen auseinander zu halten; wer war nochmal die Oma der Tante der Schwester des Schwagers? Wessen Kind heiratet wen und wer stirbt nochmal im Krieg? Erst in der Mitte des Buches habe ich auf der letzten Seite einen Stammbaum entdeckt - sowas gehört bei so einer Geschichte gleich ganz vorne auf die erste Seite! Durch die schiere Menge der einzelen Charaktere kann sich Raimondi auch nicht auf alle gleich konzentrieren, so werden die Lebenswege von einigen wenigen genauer beleuchtet, während andere nur kurz gestreift oder gar nicht weiter beachtet werden. Dabei bleiben die einzelnen Schicksale seltsam eintönig: die Frauen haben nur eine einzige Aufgabe, nämlich Hausfrau, Ehefrau und Mutter zu sein, sie können erst in späteren Generationen lesen und schreiben, Dinge wie Verhütung oder Scheidung sind undenkbar. Die Männer müssen Wege finden, ihre selbst produzierten Mäuler zu stopfen, lassen es sich aber nicht nehmen, über das Geld der Frauen - wenn vorhanden - zu verfügen, sich Geliebete zu nehmen und in Kneipen zu sitzen. Recht viel mehr Spannendes passiert auch nicht in "An den Ufern von Stellata" - und trotzdem.

Trotzdem hat mich dieses Buch wirklich gefesselt, und auch wenn die Autorin nicht jede Lebensgeschichte der einzelnen Personen minutiös beschreiben konnte, merkt man doch, wie sehr ihr ihre Figuren am Herzen liegen. Oft sind die Emotionen, Beweggründe, Gedanken und Träume der Männer und Frauen in Stellata regelrecht mit Händen zu greifen. Und obwohl die einzelnen Lebensläufe alles andere als glatt verlaufen schafft es die Autorin trotzdem das Ganze nicht in Trübsal und Unwohlsein abschmieren zu lassen. Die Dialoge sind geschliffen, der Schreibstil flüssig und schnell weg zu lesen. Und sogar das Cover, das ich am PC-Bildschirm so furchbar fand, finde ich nun, da ich es "in Echt" sehe, wunderschön!