Hätte mehr erwartet

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fraedherike Avatar

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Vor mehr als zweihundert Jahren lebte in dem kleinen Dorf Stellata in der Lombardei ein Mann von schwerem Gemüt, ein Einzelgänger und Träumer, der dachte, mit seinen Erfindungen großen Ruhm erlangen zu können. Doch immer wieder scheiterte Giacomo Casadio, wurde zum Gespött des Dorfes. Als er auf dem alljährlichen Dorffest einer der seit mehreren Monaten am Fluss lebenden zigaras begegnete, einer jungen Schönheit mit langem, schwarzem Haar und von biegsamer Gestalt, war es um ihn geschehen. Er war hingezogen und gleichzeitig eingeschüchtert von ihrer Grazie, doch die Frau bestand darauf, ihm aus der Hand zu lesen: Und sie sah in den Linien, dass er der Mann ist, auf den sie jahrelang wartete. Wenige Monate später heirateten Viollca und Giacomo entgegen dem Willen ihrer beider Familien; eine Ehe, die von Beginn an unter keinem guten Stern stand - und deren Nachkommen Generation um Generation immer wieder mit Herausforderungen zu kämpfen haben werden. Sie sind einerseits Traumtänzer, nicht ganz am Boden und der Wirklichkeit behaftet, andererseits strebsame und kluge Köpfe, unglücklich verliebte, arme wie wohlhabende Menschen. Und doch besteht die größte Aufgabe darin, weder den Kopf in den Wolken zu verlieren noch in den Fluten unterzugehen.

Voller Magie begleitet Daniela Raimondi in ihrem Debütroman "An den Ufern der Stellata" (OT: La casa sull'argine. La saga della famiglia Casadio, aus dem Italienischen von Judith Schwaab) die Geschichte der Familie Casadio, die ihren Anfang im 19. Jahrhundert findet. Leichtfüßig verbindet sie bis hin zur Neuzeit sieben Generationen miteinander, lässt jeweils den nächsten Protagonisten, dessen Schicksal im Fokus steht, sanft und fließend, wie die Stellata in ihrem Flussbett dahinwogt, in das neue Jahrzehnt hinübertreten und seine Geschichte weitertragen. Sie sind eingebettet in das jeweilige Zeitgeschehen und die örtlichen Gegebenheiten Italiens und Brasiliens, in Kriege und Aufstände, Wind und Wetter, und über allem wogt die Prophezeiung ihrer Urahnin Viollca, das wiederkehrende Symbol der Schlange und das Unheil, das sie bedeutet.

Die Sprache ist eingängig und expressiv, der jeweiligen Zeit in Ausdruck und Rhythmik angepasst. Positiv hervorzuheben ist, dass Judith Schwaab in ihrer Übersetzung das italienische Wort "zingara" beibehalten hat, um die Nennung der "Z-Wortes" zu umgehen, was abgesehen von den naheliegenden Gründen auch eine gewisse mystische Note in die Geschichte bringt. Der Verlauf der Geschichte folgt einer immer wiederkehrenden Spirale aus Geburt und einem besonderen Vorkommnis, das zum Tod oder einem Schicksalsschlag führt; über die Jahrzehnte hinweg dasselbe Lied mit kleinen Variationen und angepasster Sprache, das sich leider immer mehr hinzieht, langatmig und eintönig wird, atmosphärisch eher flache Wellen schlägt. Die meisten Charaktere sind aufgrund der doch relativ kurzen Zeit, die man sie begleitet, eher eindimensional und häufig übermäßig klischiert gezeichnet; eine Bindung oder näheres Einfühlen ist aufgrund der kurzen Abschnitte kaum möglich. Lediglich für Donata, die Mitte der 1950er Jahre lebte, konnte ich mich erwärmen. Sie strahlt eine unglaubliche Kraft und Selbstbewusstsein aus, weiß, für ihre Belange einzustehen und zu kämpfen - wenngleich ihr Leben auf tragische Weise zu Ende geht.

Ich hatte mich sehr auf den Roman gefreut, darauf, in eine große, intensive Familiengeschichte einzutauchen, die mich alles andere vergessen lassen würde, doch schnell musste ich merken, dass das Buch und ich nicht zusammenfinden würden. Das wiederkehrende Motiv aus Verdruss und Mystifizierung in Verbindung mit den blassen Charakterzeichnungen ermüdete mich schnell, mir fehlten die Ecken und Kanten, der Biss, der mich vor Erwartung und Spannung aufmerken lässt. Doch das ist nur meine Meinung.