Verschenktes Potential

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annajo Avatar

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Rose erhält einen Brief von ihrer besten Freundin Polly. Deren Ehemann ist gestorben und nun möchte sie von Griechenland zurückkehren nach England. Rose bietet ihr und ihren zwei Söhnen an, dass sie bei Rose, ihrem Mann Gareth und den beiden Töchtern wohnen können. Doch Roses Freundschaft mit Polly war schon immer ein zweischneidiges Schwert und schon bald wird aus der besten Freundin die schlimmste Feindin und Rose droht alles zu verlieren, dass ihr Glück ausgemacht hat.

Es fällt mir sehr schwer, dieses Buch zu beurteilen und zu bewerten. Der Autorin ist ein sehr gutes Psychogramm der Charaktere gelungen. Sie wirken alle lebensecht und die Geschichte zieht einen als Leser mit hinein. Die Spannung steigt langsam und stetig und man fragt sich zusammen mit Rose, ob wirklich immer Polly Schuld ist oder ob nicht doch alles auf ein Missverständnis zurückzuführen ist. Die genauen Beschreibungen treiben den Puls nach oben, da man nicht sicher sein kann, was und wem es passieren wird. Besonders der Fokus auf die Kinder lässt immer wieder das Herz stocken, wenn beispielsweise Rose bemerkt, dass Polly mit dem Baby Flossie allein ist. Als Leser kann man in Roses Paranoia voll mit einsteigen.
Allerdings ist dieses Buch in meinen Augen nicht wirklich ein Psychothriller im klassischen Sinn, sondern eher ein spannender Roman. Zudem ist plötzlich alles vorbei, als es gerade anfing, besonders interessant zu werden. Es steht eine Konfrontation bevor, bei der endlich einmal alles angesprochen wird und bei dem alle Protagonisten Stellung beziehen müssen. Doch scheinbar hatte die Autorin keine Ahnung, wie sie diese Situation auflösen soll, denn fast aus heiterem Himmel gibt es einen plötzlichen und völlig unglaubwürdigen Showdown, der zwar interessante Verwicklungen andeutet, die aber nicht mehr aufgegriffen werden. Auch ist immer wieder von Geheimnissen und Roses Vergangenheit die Rede. Letzten Endes kommt jedoch nur ein Geheimnis ans Licht und von Roses Vergangenheit erfährt der Leser nicht viel, und noch weniger von Pollys Verwicklung darin. Rose wird auch immer wieder von Bekannten vor Polly gewarnt, doch erfährt man nie, warum, denn Rose will es nicht wissen und der Leser ist das gesamte Buch über an Roses Erzählstrang gebunden.
Was mich darüber hinaus noch besonders störte, war der extreme Alkoholkonsum durch das gesamte Buch hindurch. Jeden Tag werden mehrere Weinflaschen geleert und obwohl immer wieder Szenen eingeschoben werden, in denen Rose ihr Baby stillt, trinkt sie kräftig mit und ist oft angetrunken. Das passte für mich überhaupt nicht zusammen, zumal sich Rose aus anderen Gründen Sorgen um die Gesundheit ihres Babys macht, sodass man von jedem vernünftigen Menschen erwarten würde, gerade in dieser Situation (wenn schon nicht selbstverständlich generell) auf Alkohol zu verzichten. Auch an anderen Stellen verhält Rose sich nicht nachvollziehbar irrational und man fängt an, an ihrer Glaubwürdigkeit zu zweifeln. Zudem tritt sie gerade am Anfang der Geschichte sehr selbstgerecht auf und zählt Polly - die gerade ihren Mann verloren hat! - auf, wie zufrieden sie mit ihrem Leben aus Mutter und Ehefrau ist. Da gönnt man ihr schon fast, was später alles passiert.

Alles in allem ist die Geschichte also spannend und gut geschrieben, andererseits mangelt es aber an bestimmten Ecken, sodass das Buch an Qualität einbüßt. Mich hat dieses Buch nicht restlos überzeugen können und ich finde es schade, dass nach einem guten Aufbau und einer interessanten Hinleitung der Showdown die Geschichte zerstörte. Zudem war für mich eine zur Hysterie neigende Protagonistin streckenweise keine Sympathieträgerin. Hier wäre eindeutig mehr möglich gewesen.