Der größte Plottwist seit Jahren

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Der Fantasy-Roman „Anima Daemonis“ von Mandy Rauch, erschienen Ende letzten Monats im Phantorion-Verlag bei Ludwigswinkel, wartet mit dem größten Plottwist seit George Orwell auf, der noch lange nachhallt. Die Geschichte entführt uns auf 297 Seiten in die tiefsten Abgründe der Hölle, wo Dämonen menschliche Seelen unermüdlich läutern um ihnen eine Wiedergeburt zu erlauben. Jedoch ist unsere Protagonistin keineswegs eines natürlichen Todes gestorben oder gar ermordet worden. Nein, sie hat sich ganz bewusst dazu entschlossen, sich das Leben zu nehmen, um in der sagenumwobenen Unterwelt nach einem ganz besonderen Dämon zu suchen.

Auf den ersten Seiten des Buches finden wir gleich eine Triggerwarnung, denn Teile der Handlung könnten potenziell verstörend wirken und negative Emotionen auslösen. Darunter fällt sicherlich auch der Selbstmord der Protagonistin. Eine sinnvolle Neuerung, die von immer mehr Autoren und Autorinnen aufgegriffen wird und neuerdings auch vorne im Buch positioniert wird, statt ganz hinten, wo sie leicht übersehen werden könnte. Von der Handlung wird dennoch nichts verraten, weshalb man sich keine Gedanken um Spoiler machen muss.

Das Buch wartet mit einem schönen mehrfarbigen Farbschnitt auf und auch die ungewöhnliche Schriftart wirkt sehr wertig. Jedoch scheint das Hauptmotiv auf dem Cover etwas unglücklich positioniert, da leicht nach links verschoben. Bei genauerem Hinsehen sind auch Positionierungsmarkierungen sichtbar. Es könnte sich bei meinem vom Verlag zur Verfügung gestellten Exemplar jedoch auch um einen Fehldruck handeln.

Unsere Protagonistin ist Änlin, jedoch wechseln wir hin und wieder auch zur Perspektive von Mephisto: dem Dämon, den sie hofft, zu finden. Der Name über dem Kapitel gibt jeweils an, wessen Sichtweise behandelt wird. Die Abschnitte sind etwa 10 Seiten lang und damit weder zu lang noch zu kurz für eine kurze Pause oder einen ruhigen Moment vor dem Schlafen. Dabei deutet ein kleines Emblem jeweils an, wann wir die Gegenwart für einen kurzen Rückblick verlassen, was der Geschichte die nötige Struktur verleiht. Über diese Flashbacks erschließt sich Stück für Stück die Vergangenheit der Charaktere. Trotz der vielen Persönlichkeiten mit teils eigensinnigen Namen fällt es trotzdem nicht schwer, der Handlung zu folgen. Ein schönes Extra wäre allerdings eine Karte der Hölle gewesen, sodass man sich Änlins Weg noch besser hätte vorstellen können.

Der Roman spielt mit unserem Verständnis des Lebens nach dem Tod und der Wesen der Unterwelt. Denn in „Anima Daemonis“ sind keineswegs die Dämonen die verachtenswerten Gestalten, getrieben nur von Boshaftigkeit und Sünde, sondern die Menschen. Seelen, die sich versündigt haben, bleibt bekanntlich der Eingang zum Paradies verwehrt und sie fahren stattdessen zur Hölle. Doch dass es mitunter die Dämonen sind, die sich vor diesen dunklen Seelen fürchten, die sie eigentlich rehabilitieren sollen, ist ein eindeutig weniger Häufig behandelter Umstand. Ein spannender Gedanke, der uns während der gesamten Lektüre weiterhin begleitet. Das Buch scheint außerdem von einer oder mehreren Mythologien inspiriert zu sein, die aber nicht namentlich genannt werden und damit schwer zu identifizieren sind.

Über einen direkten Einstieg starten wir gleich ins Geschehen und begleiten Änlin auf ihrer ereignisreichen Reise; sehen durch ihre Augen wie Seelen bestraft werden und welche moralischen Abgründe sich auftun. Und eben diese sollen auch für unsere Hauptcharaktere von zentraler Bedeutung werden. Mit der Königin der Hölle, Morwen, schließt Mephisto ein Wette ab. Wird Änlin es schaffen, zu ihm zu kommen, ohne dabei ihre Reinheit einzubüßen?

Im weiteren Verlauf bietet das Buch zahlreiche starke, weibliche Charaktere, die für Spannung sorgen. Schließlich will man auch wissen, ob die Protagonistin ihr Ziel tatsächlich erreichen wird oder ob sie doch aufgeben muss. Dabei liegt der Fokus jedoch eher auf dem Plot als auf den Figuren, die stellenweise doch etwas emotionslos und hölzern wirken.

Erst gegen Ende offenbart die Geschichte allerdings ihre Vielschichtigkeit und zeigt, was sie so lesenswert macht. Fans von Thrillern sollten hier allein schon aufgrund des Elements des Mysteriösen auf ihre Kosten kommen. Alle Fäden kommen schließlich an einem Punkt zusammen und alle Fragen werden beantwortet – in einer Wendung, die weder ich, noch irgendjemand unserer Lesegruppe kommen gesehen hat.

Eine Fortsetzung der Geschichte ist wohl eher ausgeschlossen, denn Änlins Geschichte ist erzählt, es sei denn, etwas verändert sich. Dann wäre die Möglichkeit für eine Romanze mit Mephisto da, jedoch halte ich dies eher für unwahrscheinlich.

Alles in allem hat mich „Anima Daemonis“ trotz anfänglicher Startschwierigkeiten letztendlich doch voll und ganz überzeugt. Ein weiterer Beweis dafür, dass auch kleinere Verlage mitunter echte Juwelen veröffentlichen und es nicht immer der neueste Dark Fantasy Roman von Piper oder Bastei Lübbe sein muss. Die Geschichte ist vielschichtig und verworren, jedoch klar erzählt, sodass es sogar empfehlenswert ist, das Buch noch ein zweites Mal zu lesen, nachdem man erst einmal über den enormen Plottwist Bescheid weiß. Eine klare Empfehlung von mir, auch für Genrefremde, denn hier kommen viele verschiedene Elemente zusammen, die dafür sorgen, dass der Leser ein echtes Abenteuer erleben kann.