authentisch, fesselnd und berührend

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sullamy Avatar

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Der autobiographische Roman `Anleitung ein anderer zu werden´ von Edouard Louis ist die Fortsetzung seines ersten autobiographischen Romans `das Ende von Eddy´ und erscheint im aufbau Verlag Berlin.
Auf intensive Weise lässt er uns an seiner Entwicklung vom Teenager zum jungen Mann teilhaben,
die geprägt ist von dem übermächtigen Wunsch seiner Herkunft, dem Arbeitermilieu, zu entfliehen und die Abwertung seiner Person hinter sich zu lassen.

Die Zurückweisung und Missachtung, die er aufgrund seiner Homosexualität von seinem Vater erfährt ist ein zentraler Punkt seiner Auseinandersetzung.
Aber auch die Bildungsferne seiner ganzen Familie und die Ausgrenzung in der Schule wird als enormer Antrieb erlebt seinem Heimatdorf zu entfliehen.
Die Gelegenheit ergibt sich als er nach Amiens auf das Gymnasium geht und dort Elena kennenlernt, die einer Familie des Bildungsbürgertums entstammt. Durch Elena und ihre Familie erlebt er, was Bildung bedeutet, dass Wissen = Macht ist und er liest und lernt mit glühendem Eifer.

Er beginnt seine Homosexualität offener zu leben und lernt Männer kennen, die ihn weiter fördern. Ihm wird ermöglicht nach Paris zu ziehen. Er orientiert sich an zeitgenössischen Philosophen und arbeitet hart um an der Elite Universität ecole normale superieure aufgenommen zu werden.
So erreicht er die höchsten gesellschaftlichen Schichten Frankreichs.
Äußerlich betrachtet hat er nun sein Ziel erreicht, er wird akzeptiert von Menschen, die in einer Welt leben, die seiner Herkunft so unvorstellbar weit entfernt ist.

Jedoch, das Gefühl, nicht wirklich dazu zu gehören, weil man nicht in diese sondern eine andere gesellschaftliche Schicht hineingeboren wurde ist immer gegenwärtig und die Dekadenz, die dort gelebt wird, stößt ihn schließlich ab.
Der Roman ist authentisch und fesselnd, er berührt durch die absolute Offenheit mit der erzählt wird. Vielleicht hat man selbst schon Ausgrenzung und die Scham darüber erlebt und findet in diesem Roman Ansatzpunkte für die Auseinandersetzung mit der eigenen Biographie.
Man meint Homosexualität wäre heutzutage doch schon akzeptiert und erfährt wie falsch dies ist.

Über sein Buch `Im Herzen der Gewalt´ schreibt Edouard Louis:
„Ich wollte aus der Gewalt einen literarischen Ort machen, so wie Marguerite Duras das mit der Leidenschaft gemacht hat oder Claude Simon mit dem Krieg. Es geht um die Gewalt, die meist unsichtbar ist. Genau darin besteht die Kraft der Literatur: Mit Worten das Unsichtbare zu zeigen.“
Ich finde, dieses Buch ist ein Ort, der die erlebte Scham zu überwinden versucht und den Wunsch, aus seinem Leben etwas wertvolles zu machen, zeigt. Vielleicht ist das Buch auch deshalb so fesselnd,
weil die Scham mindestens genauso unsichtbar ist, wie die Gewalt und es uns tröstet mitzuerleben, wie ein anderer mit seiner Scham lebt und versucht sie zu überwinden und zu heilen.
Ich kann dieses Buch nur empfehlen und bin froh den Autor kennengelernt zu haben und nun auch seine anderen Bücher zu lesen.