Ein sehr selbstreflektiertes und starkes autofiktionales Werk, das sich von seinen vorherigen abhebt

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luisabella Avatar

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»Sie waren in einer anderen Welt als unserer aufgewachsen, und durch sie entdeckte ich nicht so sehr meine Klassenzugehörigkeit, denn die war mir im Prinzip immer bewusst gewesen, sondern, was meine Klassenzugehörigkeit konkret bedeutete.« (S.38)

In seinem neusten Buch »Anleitung ein anderer zu werden« schreibt der 1992 geborene Autor Èdouard Louis über seine persönliche und gesellschaftliche Veränderung von Eddy Bellegueule zu Èdouard. Der in extremer Armut aufgewachsene Autor verspürt nicht zuletzt aufgrund der erlebten Klassenunterschiede und Diskrimminierungserfahrungen ein intensives Verlangen, ein anderer werden zu müssen. Mit dem Wechsel aus das Gymnasium in Amiens beginnt die Transformation getrieben vom Veränderungswillen und Selbst(-er-)findungsprozess: Freundschaften und Bekanntschaften prägen diesen Prozess und verschiedene Freund:innen dienen ihm solange als Vorbild und Ziel seines Strebens bis sie vom nächst höheren abgelöst werden.

»Alle Leben zu leben, war meine Rache für die Tatsache, dass man mir bei der Geburt einen bestimmten Platz zugewiesen hatte.« (S.208)

Der Autor schreibt Passagen fiktiv an seinen Vater, führt Spiegelselbstgespräche und imaginäre Aussprachen mit zwei seiner zerbrochenen Freundschaft (Elena & Didier). Er geht dabei selbstkritisch und schonungslos mit sich selbst, seinen Gedanken, Streben und Verhalten ins Gericht. Die Passagen lesen sich dabei teilweise wie eine Danksagung, teilweise wie eine Entschuldigung an diese Personen, die er auf seiner persönlichen Transformation zurückgelassen hat.

Nach »Das Ende von Eddy« (2014), »Im Herzen der Gewalt«(2016), »Wer hat meinen Vater umgebracht«(2018) und »Die Freiheit einer Frau« (2021) ist »Anleitung ein anderer zu werden« (2022) das fünfte Buch des jungen französischen Autors, in dem er autofiktional über seine Herkunft, seine Familie, sein Leben und seine Entfremdung schreibt. In diesem Werk schreibt er darüber jedoch als Flucht und Abwendung von seiner Familie und Herkunft - angetrieben von Rache- und Schamgefühlen über seine Herkunft und erlebten Diskrimminierungserfahrungen aufgrund seiner Homosexualität.

Ein emotionales, sehr selbstreflektiertes und starkes Buch des Autors, das beeindruckend zeigt, wie viel persönliche Transformation kosten kann.