Fesselnd und authentisch

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soulmatereader Avatar

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Eddy Bellegueule will Rache nehmen. Rache an der Engstirnigkeit der kleinen französischen Stadt, aus der er stammt. Rache wegen der Gewalt und Armut, die er dort erfahren hat, Rache für seine verlorene Kindheit und die homophoben Anfeindungen, denen er immer wieder ausgesetzt gewesen ist. Édouard Louis‘ Roman „Anleitung ein anderer zu werden“ erzählt die Geschichte eines Außenseiters, der sich aus den Fesseln seiner Vergangenheit befreit, indem er sich immer wieder neu erfindet.

Von Amiens, wo Eddy als erster seiner Familie das Gymnasium besucht, bringt ihn sein sozialer Aufstieg schließlich nach Paris. Er nimmt einen neuen Namen an, neue Gepflogenheiten und Charakterzüge. Rastlos probiert er sich aus, präsentiert sich in anderen Rollen, klammert sich an reiche, namenhafte Männer… Sein Hunger nach Anerkennung und ständiger Veränderung lassen ihn schließlich fast an sich selbst zerbrechen.

Vor allem bewegt hat mich die Tatsache, dass der Autor des Romans hauptsächlich seine eigene Geschichte erzählt. Flüssig und authentisch schildert er seine Kindheit, in fiktiven Aussprachen setzt er sich mit seinen Eltern und Freunden auseinander und nimmt dabei kein Blatt vor den Mund. Trotz allem bleibt er dabei sensibel für die Hintergründe des Geschehenen. In kleinen Anmerkungen und Fußnoten kommentiert sich Louis gelegentlich selbst, gibt Ausblicke in die Zukunft und blickt zugleich immer wieder in die Vergangenheit zurück, reflektiert darüber und versucht sie zu verstehen.

„Anleitung ein anderer zu werden“ ist voller Personen, die man kennenlernen möchte, Dingen, die man nachfühlen und selbst verstehen will. Ich habe das Buch in zwei Tagen verschlungen. Einer der besten Romane, die 2022 bis jetzt für mich zu bieten hatte. Daher 5 Sterne!