Leben als ständige Flucht

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imperatorwilma Avatar

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Eddy verbrachte seine Kindheit in der nordfranzösischen Provinz. Aufgewachsen zwischen Armut und Homophobie ist schon früh klar, dass es hier nicht weiter geht. Ein anderes Leben ruft. So ist das Gymnasium der erste Stopp auf einer hungrigen Suche nach Klassenaufstieg, Akzeptanz und auf der Flucht vor der Scham. Doch das reicht noch lange nicht, und so scheint auch in Paris das Ende noch nicht gefunden zu sein.

Die Tatsache, dass das Buch eine autobiografische Aufarbeitung der Entwicklung des Autors selbst ist, hat mich weniger gereizt, als der Wunsch, das bestehende Klassensystem zu sprengen, und mit Bildung und einem wachen Geist in höhere gesellschaftliche Sphären aufzusteigen. Gerade in Frankreich, wo das in meiner Wahrnehmung schwerer ist, als in Deutschland. Und so war ich von den ersten 100 Seiten des Buches wirklich gefesselt, verfolgte, wie Éduard sein Leben in Armut und dem bildungsfernen Umfeld seiner Gemeinde wahrnimmt, ausbricht und beginnt seinen eigenen Weg zu gehen, sich von seiner Familie immer mehr abkapselt. Allerdings hatte ich gewisse Schwierigkeiten damit, dass das Buch als reine Autobiografie verfasst ist, dabei aber teilweise Empfindungen und fundamentale Entscheidungsprozesse auf Charakterebene unterschlagen wurden. Konsequenterweise empfand ich dann stellenweise Éduard als unnahbar und unsympathisch. Die immer weiter voranschreitende Flucht wirkte auf mich als gierig und Éduard als unzufrieden. Auch empfand ich es so, dass die Handlung mit Voranschreiten des Buches immer mehr abflachte. Die bahnbrechenden Umwälzungen im Leben, die das erste Drittel und auch weiter hinein das Buch prägten, fehlten mir im letzten Drittel massiv. Viel mehr hatte ich das Gefühl, in einem Hin- und Hergehetze zwischen den unterschiedlichen Sexualpartnern des Ich-Erzählers gelandet zu sein. Was mir stilistisch wiederum sehr gefallen hat, ist, dass das Buch aufgebaut ist, als würde Éduard eine Aussprache mit seinem Vater führen, und sich immer wieder findet, wie dieser in Éduards Vorstellungen dazu äußern würde.

Insgesamt verdient das Buch aber in meinen Augen es nicht, Roman genannt zu werden, wie es auf dem Cover steht, da es sich viel mehr um eine interessante, aber dennoch nicht weltbewegende Autobiografie handelt.