Rasante Flucht aus der Herkunftsfamilie

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violetta1961 Avatar

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Das Cover zeigt Kopf und Nacken eines jungen Mannes. Zusammen mit dem Titel ergibt sich die Assoziation, dass dieser Mann sich von etwas abwendet. Der Autor, der über seine eigene Lebensgeschichte schreibt, wendet sich von seiner Kindheit im Arbeitermilieu ab, um sich neu zu erfinden.
Rasant erzählt, kann er seine Leser in den Bann ziehen. In wenigen Seiten des Prologs nimmt Édouard Louis die Stationen seiner Flucht aus dem Herkunftsmilieu bis zum heutigen Tage vorweg. Leider nimmt er mir damit einiges an Spannung, da ich das Wichtigste somit schon weiß. Er zeigt sich von einer seltenen Ehrlichkeit sich selbst gegenüber, indem er sich z.B. fragt, ob er Menschen, die ihm auf seinem Weg halfen, nur als Station ansah und hinter sich ließ. In dem prämierten Vorgängerbuch "Das Ende von Eddy" beschreibt er das alltägliche Leben in seiner Familie. Im vorliegenden Buch geht es hauptsächlich um seine Selbstwahrnehmung. So spricht er z.B. gedanklich mit sich, so, als ob er mit seinem Spiegelbild spräche. Ich hätte gern mehr echte Dialoge vorgefunden. Zwar lässt die Sprunghaftigkeit seiner Gedanken auch den enormen Willen erkennen, sich schnell zu verändern und zu entwickeln, doch hätte ich mir vom Inhalt mehr fundiertes Wissen über seine Situation erhofft. Er hat in kurzer Zeit sehr viele Bücher gelesen. Dennoch werden Interpretationen von anderen Autoren nur sehr vage angedeutet. Da hätte ich mir einfach genauere Zitate gewünscht.
Insgesamt ein lesenwertes Buch für Menschen, die sich dafür interessieren, wie jemand, der ganz anders als seine Familie ist, es schaffen kann, ein neues Leben zu starten.