Tolles Buch mit gemischten Eindrücken

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mikki44 Avatar

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Ich klappe dieses Buch mit sehr gemischten Gefühlen zusammen. Édouard Louis hat es mir mit „Anleitung ein anderer zu werden“ nicht so einfach gemacht einfach zu sagen „von vorne bis hinten ein tolles Buch - mal wieder“ und dennoch würde ich es ohne zu zögern weiterempfehlen.

Louis hat in jungen Jahren schon einiges mitgemacht. Das Buch ist eine sehr genaue Beschreibung seiner Veränderung vom armen Jungen, der sich so sehr eine andere Zukunft wünscht, hin zu einem komplett anderen Menschen. Er beschreibt seinen Kampf um Akzeptanz seiner selbst und die der anderen Menschen in seinem Heimatdorf. Wie er seinen Traum mehr zu erreichen als seine Eltern nie aus den Augen verliert und schließlich nach Amiens zieht, seine erste beste Freundin und das Leben einer gehobenen Gesellschaft kennenlernt und seine einstigen Ziele nicht mehr genug waren. Er will weiter kommen, mehr lernen, lesen, leben. Er schafft es immer wieder seine Vorstellungen selbst zu übertreffen und legt eine Entwicklung hin, die wahrlich bemerkenswert ist. Ein Aufsteiger, ein Klassenüberschreiter.

Ich bewundere seine Energie, Armut und die soziale Hoffnungslosigkeit des Dorfes zu entfliehen. Seine Auffassungsgabe genau zu bemerken, was er lernen muss, um sich anzupassen. Aber irgendwie ging mir sein Verhalten im Buch teilweise sehr gegen den Strich. Und ja, ich weiß natürlich auch, dass er eine ganz andere Einstellung hat als ich, mit anderen Themen und Stigmatisierungen kämpfen musste. Aber diese Anspruchshaltung an sich, besser zu sein, sich mehr Wissen anzueignen, wurde auch immer auf andere Menschen übertragen. Dass seine Eltern natürlich aus seinem Leben quasi gestrichen wurden, da die Wut und Verzweiflung über seine Kindheit zu groß war, kann ich nachvollziehen. Aber mir fehlte die Einordnung, dass auch seine Eltern aus Gründen in solch eine Situation gekommen sind, aus Perspektivlosigkeit und Resignation. Kann man es Menschen vorwerfen, dass ein hoffnungsloser Alltag nicht immer dazu einlädt, etwas besseres aus sich zu machen?