Ermüdend
Achtung: Ich nenne im Folgenden keine Namen und Zusammenhänge, werde aber anführen, wie dieser Roman seine Lösung, zumindest den WICHTIGSTEN Teil davon, a) sehr frühzeitig und b) noch dazu mehrmals ganz offensichtlich selber spoilert.
Wenn es sich bei Blakes „Anna O.“, wie von Lee Childs verkündet, tatsächlich um „mit Sicherheit einer der besten Thriller des Jahres“ handelt, plädiere ich dafür, dass wir das Thrillerjahr 2024 mit sofortiger Wirkung zu den Akten heften und weiterhin unbeachtet Staub ansetzen lassen, zumal das englischsprachige Original bereits im Februar erschienen ist. Ferner würde ich Lee Childs gerne fragen, wie wenig er denn von der sonstigen 2024er Belletristik erwartet hat, dass er „Anna O.“ direkt so hoch eingestuft hat.
Ich fand diese Grundidee der Verdächtigen im jahrelangen Tiefschlaf so außergewöhnlich, dass ich diesen Thriller unbedingt habe lesen wollen, auch wenn ich nach den ersten Seiten schon an der Umsetzbarkeit dieser Idee zweifelte; nun ja, diesen Roman gibt es immerhin, also ist die Idee eben doch umgesetzt worden – aaaaaber: Anna war nicht nur die Tatwaffe haltend am Tatort aufgefunden worden, sondern hatte auch ein kurzes Geständnis via Textnachricht abgelegt, ehe sie nicht mehr aufzuwecken war; nach außen hin war ihre Schuld ziemlich eindeutig, eigentlich war da nur das Motiv offen. (Ganz ehrlich: Wäre Anna nicht ausgerechnet die extrem privilegierte Tochter einer noch dazu adligen Politikerin und eines schwerreichen Investmentfuzzis gewesen, würde selbst das auch keinen weiter groß interessiert haben; dann wäre dieser ganze Fall höchstens mal ab und an in irgendwelchen Mystery-Foren/-Podcasts… ähnlich einer urban legend abgehandelt worden.)
Da gab es dann aber natürlich doch auch die Verfechter der „Anna war’s nicht“-Theorie, laut derer die gesamte Tatort-Szenerie von der wahren schuldigen Person inszeniert und manipuliert worden war – und damit kommen wir zum größten Problem des ganzen Plots für wohl so ziemlich alle, grade auch diejenigen, die seeeeehr viel, und vorzugsweise Spannungsliteratur, lesen: Der gesamte Roman zielt darauf ab, die Leserschaft von Anfang an darauf zu trimmen, sich nicht zu fragen, ob Anna eventuell tatsächlich während des Schlafwandelns gemordet haben könnte, sondern von ihrer generellen Unschuld überzeugt zu sein. Dazu gibt es dann diverse Erzählerwechsel, Einblicke in Annas früheres Tagebuch, und „anonyme“ Ich-Erzähler geben dann Dinge preis, die voraussetzen, dass Anna während (!) des Schlafwandel(morde)ns (!) zumindest eine/n Komplizen/in gehabt haben muss, oder dass hier jetzt die wahre Täterschaft spricht. Jaaaaaha, das klingt alles sehr rätselhaft; blöd aber, dass (und es wird sogar direkt offen angesprochen! Man muss da nichtmals besonders aufmerksam sein; das ist kein winziges zwischen den Zeilen verstecktes Detail!) es nur eine einzige Person gibt, die überhaupt die Möglichkeit hatte, den Tatort und alles Weitere zu präparieren.
Damit blieb eigentlich weiterhin nur noch die Frage nach dem Motiv, aber während ich in erster Linie dann eben weiterlas, um zu erfahren, wieso und warum, drehte sich der Roman weiter sehr viel mehr um die Frage, ob Anna aufwachen würde, ob sie sich erinnern würde, ob sie aussagen könnte… und was die „gewagte Theorie“ des Doctors, wie er Anna aufwecken könnte, angeht: keine Ahnung, was dessen Theorie gewesen sein sollte. Hauptsächlich schien die aus „mit der schlafenden Anna reden“ zu bestehen, also genau das, was man Angehörigen von Koma-Patient*innen eh von jeher auch schon anrät; also wirklich innovativ war das nicht.
Ich fand es eher langweilig, und dachte dann eh auch schon frühzeitig, dass Anna doch niemals wirklich ein Prozess gemacht werden könnte, weil nach vier Jahren Tiefschlaf würde absolut keine ihrer Aussagen vor Gericht einem medizinischen Gutachten standhalten können, womit auch schon diese ganze Prämisse „wir müssen sie jetzt irgendwie wachkriegen, damit sie endlich verurteilt werden kann“ hinfällig war. (Als ob es keinem klar gewesen wäre, dass Annas Verteidigung da, so oder so, schuldig oder nichtschuldig oder mitschuldig, einen Freispruch für sie geschenkt bekäme.)
Irgendwann war ich echt genervt davon, dass Anna gefühlt ewig lang weiterschlief, ohne dass die übrige Geschichte wirklich vorantrieb; selbst als es zu einem weiteren Mord kam (während Anna immer noch in ihrem Spitalbett vor sich hin schlummerte), löste das ganz offensichtlich nur wenig Aufruhr und anderweitige Ermittlungen aus. Dabei war es ab da dann absolut offensichtlich, wer überall mit drinhing, was aber niemandem auffiel (obwohl es übrigens wieder ganz offen angesprochen wurde).
Die Handlung versuchte einem stattdessen weiter weiszumachen, dass alles, aber auch alles, rein von Annas Aufwachen abhing. Dabei kam die ethisch, moralisch und auch philosophisch interessante Frage nach den möglichen, im Schlaf begangenen Taten und der Verantwortlichkeit für diese sogar dabei aber reichlich kurz; Diskussionen diesbezüglich fanden eigentlich gar nicht statt, da gab es keine Pros und Kontras, es wurde ständig nur gefragt, ob man selbst denn sicher sagen könne, was man im Schlafe wirklich so alles (nicht) anstelle.
Die verschiedenen Erzählerstimmen machten es dann völlig diffus; ich hätte es tatsächlich authentischer gefunden (vermutlich hätte der Roman mir bei einer solch offensiven Erzählweise, und sehr viel weniger auf Benedict Prince fokussiert, sogar auch richtig gut gefallen), wäre von Anfang an immer eher auf „Hey, ich bin in Wirklichkeit XY und bin auf diese oder jene Weise beteiligt und pack jetzt aus“ gegangen worden als auf „oho, ich pack jetzt klitzekleines Stückchen für klitzekleines Stückchen aus, aber rate doch mal, wer ich bin“. Denn wie gesagt: Es wurde ja nichtmals zu verschleiern versucht, dass diese eine bestimmte Person als einziger Mensch all diese Zugriffsmöglichkeiten hatte.
Schließlich kam es dann noch zu einem Zwist, der so ziemlich die mieseste falsche Fährte war, die ich bisher in einem Buch gesehen habe, denn was da vermittelt wurde, ergab einfach gar keinen Sinn, und die komplette Auflösung wirkte letztlich wie eine seltsame Mischung aus einer auf Rache gesinnten Verschwörung und, nun ja, „Glück gehabt“. Ich bin immer noch ein wenig verwirrt, wie das alles zwar so krass raffiniert durchgeplant gewesen sein sollte, aber zugleich stark von Zufällen abhing.
Auch da hätte es dem Verständnis sicher gutgetan, wäre der ganze Roman eben von Anfang an als Geständnis aufgebaut gewesen, zumal es da im Hintergrund eine verdammt interessante Biografie gab; und nur wegen dieses Rückblicks in die Vergangenheit gebe ich dem Roman „Anna O.“ letztlich doch auch drei Sterne. Dennoch verstehe ich nicht, wieso ausgerechnet dieser Thriller so hochgelobt wird, in dem wiederholt „haha, demnach könntest rein faktisch ja nur du das gemacht haben; das ist ja lustig, hihihihi, nicht, dass du noch verdächtigt wirst…!“ festgestellt wird ohne dass mal, „Moment mal… es kann halt echt einfach gar niemand außer dir das gewesen sein?!“, aufgemerkt wird.
Wenn es sich bei Blakes „Anna O.“, wie von Lee Childs verkündet, tatsächlich um „mit Sicherheit einer der besten Thriller des Jahres“ handelt, plädiere ich dafür, dass wir das Thrillerjahr 2024 mit sofortiger Wirkung zu den Akten heften und weiterhin unbeachtet Staub ansetzen lassen, zumal das englischsprachige Original bereits im Februar erschienen ist. Ferner würde ich Lee Childs gerne fragen, wie wenig er denn von der sonstigen 2024er Belletristik erwartet hat, dass er „Anna O.“ direkt so hoch eingestuft hat.
Ich fand diese Grundidee der Verdächtigen im jahrelangen Tiefschlaf so außergewöhnlich, dass ich diesen Thriller unbedingt habe lesen wollen, auch wenn ich nach den ersten Seiten schon an der Umsetzbarkeit dieser Idee zweifelte; nun ja, diesen Roman gibt es immerhin, also ist die Idee eben doch umgesetzt worden – aaaaaber: Anna war nicht nur die Tatwaffe haltend am Tatort aufgefunden worden, sondern hatte auch ein kurzes Geständnis via Textnachricht abgelegt, ehe sie nicht mehr aufzuwecken war; nach außen hin war ihre Schuld ziemlich eindeutig, eigentlich war da nur das Motiv offen. (Ganz ehrlich: Wäre Anna nicht ausgerechnet die extrem privilegierte Tochter einer noch dazu adligen Politikerin und eines schwerreichen Investmentfuzzis gewesen, würde selbst das auch keinen weiter groß interessiert haben; dann wäre dieser ganze Fall höchstens mal ab und an in irgendwelchen Mystery-Foren/-Podcasts… ähnlich einer urban legend abgehandelt worden.)
Da gab es dann aber natürlich doch auch die Verfechter der „Anna war’s nicht“-Theorie, laut derer die gesamte Tatort-Szenerie von der wahren schuldigen Person inszeniert und manipuliert worden war – und damit kommen wir zum größten Problem des ganzen Plots für wohl so ziemlich alle, grade auch diejenigen, die seeeeehr viel, und vorzugsweise Spannungsliteratur, lesen: Der gesamte Roman zielt darauf ab, die Leserschaft von Anfang an darauf zu trimmen, sich nicht zu fragen, ob Anna eventuell tatsächlich während des Schlafwandelns gemordet haben könnte, sondern von ihrer generellen Unschuld überzeugt zu sein. Dazu gibt es dann diverse Erzählerwechsel, Einblicke in Annas früheres Tagebuch, und „anonyme“ Ich-Erzähler geben dann Dinge preis, die voraussetzen, dass Anna während (!) des Schlafwandel(morde)ns (!) zumindest eine/n Komplizen/in gehabt haben muss, oder dass hier jetzt die wahre Täterschaft spricht. Jaaaaaha, das klingt alles sehr rätselhaft; blöd aber, dass (und es wird sogar direkt offen angesprochen! Man muss da nichtmals besonders aufmerksam sein; das ist kein winziges zwischen den Zeilen verstecktes Detail!) es nur eine einzige Person gibt, die überhaupt die Möglichkeit hatte, den Tatort und alles Weitere zu präparieren.
Damit blieb eigentlich weiterhin nur noch die Frage nach dem Motiv, aber während ich in erster Linie dann eben weiterlas, um zu erfahren, wieso und warum, drehte sich der Roman weiter sehr viel mehr um die Frage, ob Anna aufwachen würde, ob sie sich erinnern würde, ob sie aussagen könnte… und was die „gewagte Theorie“ des Doctors, wie er Anna aufwecken könnte, angeht: keine Ahnung, was dessen Theorie gewesen sein sollte. Hauptsächlich schien die aus „mit der schlafenden Anna reden“ zu bestehen, also genau das, was man Angehörigen von Koma-Patient*innen eh von jeher auch schon anrät; also wirklich innovativ war das nicht.
Ich fand es eher langweilig, und dachte dann eh auch schon frühzeitig, dass Anna doch niemals wirklich ein Prozess gemacht werden könnte, weil nach vier Jahren Tiefschlaf würde absolut keine ihrer Aussagen vor Gericht einem medizinischen Gutachten standhalten können, womit auch schon diese ganze Prämisse „wir müssen sie jetzt irgendwie wachkriegen, damit sie endlich verurteilt werden kann“ hinfällig war. (Als ob es keinem klar gewesen wäre, dass Annas Verteidigung da, so oder so, schuldig oder nichtschuldig oder mitschuldig, einen Freispruch für sie geschenkt bekäme.)
Irgendwann war ich echt genervt davon, dass Anna gefühlt ewig lang weiterschlief, ohne dass die übrige Geschichte wirklich vorantrieb; selbst als es zu einem weiteren Mord kam (während Anna immer noch in ihrem Spitalbett vor sich hin schlummerte), löste das ganz offensichtlich nur wenig Aufruhr und anderweitige Ermittlungen aus. Dabei war es ab da dann absolut offensichtlich, wer überall mit drinhing, was aber niemandem auffiel (obwohl es übrigens wieder ganz offen angesprochen wurde).
Die Handlung versuchte einem stattdessen weiter weiszumachen, dass alles, aber auch alles, rein von Annas Aufwachen abhing. Dabei kam die ethisch, moralisch und auch philosophisch interessante Frage nach den möglichen, im Schlaf begangenen Taten und der Verantwortlichkeit für diese sogar dabei aber reichlich kurz; Diskussionen diesbezüglich fanden eigentlich gar nicht statt, da gab es keine Pros und Kontras, es wurde ständig nur gefragt, ob man selbst denn sicher sagen könne, was man im Schlafe wirklich so alles (nicht) anstelle.
Die verschiedenen Erzählerstimmen machten es dann völlig diffus; ich hätte es tatsächlich authentischer gefunden (vermutlich hätte der Roman mir bei einer solch offensiven Erzählweise, und sehr viel weniger auf Benedict Prince fokussiert, sogar auch richtig gut gefallen), wäre von Anfang an immer eher auf „Hey, ich bin in Wirklichkeit XY und bin auf diese oder jene Weise beteiligt und pack jetzt aus“ gegangen worden als auf „oho, ich pack jetzt klitzekleines Stückchen für klitzekleines Stückchen aus, aber rate doch mal, wer ich bin“. Denn wie gesagt: Es wurde ja nichtmals zu verschleiern versucht, dass diese eine bestimmte Person als einziger Mensch all diese Zugriffsmöglichkeiten hatte.
Schließlich kam es dann noch zu einem Zwist, der so ziemlich die mieseste falsche Fährte war, die ich bisher in einem Buch gesehen habe, denn was da vermittelt wurde, ergab einfach gar keinen Sinn, und die komplette Auflösung wirkte letztlich wie eine seltsame Mischung aus einer auf Rache gesinnten Verschwörung und, nun ja, „Glück gehabt“. Ich bin immer noch ein wenig verwirrt, wie das alles zwar so krass raffiniert durchgeplant gewesen sein sollte, aber zugleich stark von Zufällen abhing.
Auch da hätte es dem Verständnis sicher gutgetan, wäre der ganze Roman eben von Anfang an als Geständnis aufgebaut gewesen, zumal es da im Hintergrund eine verdammt interessante Biografie gab; und nur wegen dieses Rückblicks in die Vergangenheit gebe ich dem Roman „Anna O.“ letztlich doch auch drei Sterne. Dennoch verstehe ich nicht, wieso ausgerechnet dieser Thriller so hochgelobt wird, in dem wiederholt „haha, demnach könntest rein faktisch ja nur du das gemacht haben; das ist ja lustig, hihihihi, nicht, dass du noch verdächtigt wirst…!“ festgestellt wird ohne dass mal, „Moment mal… es kann halt echt einfach gar niemand außer dir das gewesen sein?!“, aufgemerkt wird.