Ein kluges und wichtiges Buch

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jens1991 Avatar

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Durga ist eine erfolgreiche Drehbuchautorin, kommt aus Deutschland und ist die Tochter eines Inders und einer Deutschen. Nachdem ihre Mutter gerade gestorben ist, soll Durga nach London fliegen und bei einem Writers’ Room an einer möglichst kritischen Verfilmung der Agatha-Christie-Krimis mitarbeiten. Doch dann stirbt auch plötzlich die Queen und die Welt gerät aus den Fugen. Durga findet sich auf einmal 1906 in London wieder und ist ein Mann. In ihrer neuen Gestalt trifft sie auf indische Revolutionäre und wird Teil einer eingeschworenen Gemeinschaft, die für die Unabhängig Indiens, zur Not auch mit brutalen Mitteln, kämpfen möchte.

Mithu Sanyal legt mit „Antichristie“ bereits ihren zweiten Roman vor und war damit für den Deutschen Buchpreis 2024 nominiert. Sanyal erzählt meisterhaft und entwirft hier einen Fiebertraum aus Kolonialismus, Anarchismus, Identität und Nationalität. Die Autorin entführt ihre Leser:innen auf eine aberwitzige Reise durch die Zeit und lässt den Freiheitskampf Indiens und die Kolonialverbrechen des Britischen Empire auferstehen. In diesem Buch steckt eine ganze Welt und es behandelt Themen, die selbst in der deutschen Vergangenheitsbewältigung größtenteils totgeschwiegen werden. Es geht um den Dualismus von Mensch und Nation, zeigt die Ursprünge heutiger Konflikte und die Gewalt, die aus kolonialen Größenphantasien entstanden ist. Dabei werden auch so manche Freiheitskämpfer entzaubert und unterschiedliche Widerstandsformen aufgezeigt. Trotz dieser schwergewichtigen Themen, behält der Roman stets eine Form der humorvollen Leichtigkeit. Untermalt wird die Handlung durch Regieanweisungen zu Beginn der Kapitel und zahlreiche Referenzen auf „Doctor Who“. Ein wirklich kluges Buch und für mich definitiv ein Jahreshighlight!