Ein apokalyptisches Buch

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nickimaus Avatar

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Eine verzweifelte Frau will Selbstmord begehen und geht während eines starken Sturmes an den Rand einer Klippe und springt. Während ihres Fluges wird sie von einem mysteriösen Wesen aufgefangen und erreicht sanft den Boden. Sie verliert das Bewusstsein, wird aber gefunden und ins Krankenhaus eingeliefert. Die Ärzte und das Pflegepersonal des Krankenhauses sind ratlos: Die Frau mit Namen Judith ist immer noch bewusstlos, hat aber keine einzige Schramme davongetragen. Sie scheint ein Wunder zu sein, denn anders als über die Klippe hätte der Ort, an dem sie gefunden wurde, nicht erreicht werden können.

Wir lernen die Ärztin Esther kennen: Eine in sich zurückgezogene, depressive, junge Stationsärztin, die auch mit ihren Mitmenschen nicht gerade zimperlich umspringt. Der Pfleger Geno ist in heller Aufruhr als die noch weggetretene Judith beginnt, Fragen und Antworten einer Fernsehquizshow herunterzurasseln bevor diese genannt werden. Die rational denkende Esther lässt sich davon nicht beeindrucken. Gleichzeitig gehen auf der ganzen Welt seltsame Ereignisse vor sich: Ein grünliches Schimmern, ähnlich dem Nordlicht legt sich über den Himmel. Das merkwürdige Licht ist auf der ganzen Welt zu sehen. Die Wissenschaftler sind ratlos.

Mittlerweile ist Judith vollständig erwacht. Sie scheint Geno in ihren Bann gezogen zu haben. Dieser weicht nicht von ihrer Seite und gewinnt einen Tag später im Lotto, da Judith ihm die Gewinnzahlen mitgeteilt haben soll. Sie scheint einen sechsten Sinn und eine besondere Ausstrahlung zu haben, was andere Mitarbeiter des Krankenhauses zu ihren Gunsten ausnutzen wollen. Von der skeptischen Esther wird dies unterbunden, aber auch sie kann sich Judiths Anziehungskraft nicht widersetzen und fährt nach einer Eingebung mitten in der Nacht zu ihr. Dort wird sie Zeuge wie Judith in Panik gerät weil sie etwas Schreckliches vor den Fenstern sieht.

Szenenwechsel: Zusammen mit Iax, einem Engel mittleren Ranges, sind wir in einem Hochgebirge in einer anderen Welt. Wir erleben die Geburt eines Engels namens Nathanael. Dieser trägt einen noch nie dagewesenen und unfassbaren Makel: Er hat einen verkrüppelten Arm. Es ist noch nie vorgekommen, dass die Perfektion der Engel durchbrochen wurde. Auch der herbeigerufene Cherubim Rafael ist ratlos.

Die beiden Engel machen sich auf eine Reise durch eine Welt, die abwechselnd grün und blühend oder trist und karg ist und in der Zeit und Raum bedeutungslos sind. Iax wird zu Nathanaels Lehrmeister und führt ihn in Kriegskünste ein, verhält sich dem kindlich wirkenden Engel gegenüber aber sehr schroff und abweisend während Nathanael seinem Mentor Liebe und Zuneigung entgegenbringt. Sie sind auf dem Weg in die "Burg", in der alle Engel zu Hause sind.

Es stellt sich heraus, dass der "Vater", also Gott, im Sterben liegt und gleichzeitig Luzifer aus seinem Gefängnis entkommen ist und schon eine Menge Engel auf seine Seite gebracht hat. Ein allerletzter Kampf der beiden Seiten droht, den es zu verhindern gilt, da bei einem kriegerischen Aufeinandertreffen die gesamte Schöpfung zerstört zu werden droht. Der verkrüppelte und unbeholfen wirkende Nathanael wird anscheinend noch eine wichtige Rolle spielen.

Gleichzeitig bricht auf der Erde die Hölle los: Auf die grünen Lichter folgt eine unfassbare Hitzewelle und Naturkatastrophen finden an jeder Ecke der Welt statt. Die Menschheit steht vor dem Untergang. Unsere Welt scheint mit der der Engel eng verknüpft zu sein.

**Meine Meinung:**
Andreas Izquierdo hat sich in diesem außergewöhnlichen Fantasybuch der Geschichte um die Engel aus der jüdisch-christlichen Lehre bedient, die allerdings ziemlich frei ausgelegt wurde. Einerseits muss dies leicht für ihn gewesen sein, da er sich einem schon vorhandenen Grundgerüst bedienen konnte, andererseits war es sicherlich auch nicht einfach, denn es gab auch einige "Regeln", an die er gebunden war.

Ein Großteil, ich schätze ca. 3/4 des Buches, spielt sich in der Welt der Engel ab. Die Cherubim und die Seraphim werden als absolute Lichtgestalten dargestellt: Sie sind mächtig, glanzvoll und respekteinflößend. Alle bekannten Engel spielen hier auch eine große Rolle, z.B. Rafael, Gabriel, Michael, Metatron oder Uriel. Man kann sich ihnen mit ihrer überwältigenden Aura nicht entziehen. Ähnlich wird Luzifer dargestellt: Nicht als Höllenfürst, sondern als wunderschöner Engel mit fast unendlicher Macht und Stärke. Die Beschreibung "das Böse" würde meiner Ansicht nach nicht auf ihn zutreffen. Er ist zwar listig und tritt auch als Verführer auf, aber ebenso empfindet er sehr viel Liebe für seine Brüder und scheint ihnen, obwohl er den Vater vom Thron stoßen will, sehr wohlgesinnt zu sein.

Die Benennung dieser Auseinandersetzung in "gut gegen böse" wäre hier unpassend gewesen. Vielmehr stehen sich zwei Armeen mit unterschiedlichen Ansichten gegenüber: Die Traditionalisten, die unbeirrbar an der bestehenden göttlichen Ordnung und den Traditionen festhalten wollen (Cherubim und Seraphim), sowie die Rebellen (Luzifers Gefolge), die für einen Umsturz bzw. die Abkehr von alten Werten stehen und einen neuen Herrscher über die Schöpfung einsetzen wollen (Luzifer).

Objektiv gesehen hat Andreas Izquierdo relativ neutral geschrieben und der Leser ist nicht schon von Anfang an festgelegt, wem er seine Sympathie geben muss. Vor allem der Rat, der zu den "Guten" gehört, und aus den höchsten Seraphim und Cherubim besteht, hat kein Erbarmen bei Verfehlungen, die von Engeln aus den eigenen Reihen begangen wurden und folgt einer strengen Hierarchie. Gnade ist nicht zu erwarten, denn nach deren Lehre kann diese nur vom Vater (der Name Gott fällt übrigens kein einziges Mal und er kommt auch selbst nicht in dem Buch vor!) gegeben werden.

Es gab sehr wenig Actionszenen in den Buch, vielmehr ist "Apocalypsia" ein ziemlich ruhiger Roman, der sich viel um Gefühle dreht und den Leser bzgl. "Richtig" oder "Falsch" oft zum Nachdenken bringt. Soviel kann ich vorwegnehmen, am Ende kommen auch Fans von rasanten Geschichten auf ihre Kosten: eine gigantische, monumentale, blutige und wahrhaftig apokalyptische Schlachtszene ist die Belohnung fürs Durchhalten. Die Weltuntergangsszenen auf der Erde, die relativ kurz gehalten wurden, scheinen mir allerdings sehr stark von dem Film "2012" abgekupfert.

Als Kritik an unserer momentanen Weltordnung habe ich das Verhalten der einfachen Engel verstanden, die, ohne etwas zu hinterfragen, ihren Führern blind und wie ferngesteuert aufs Schlachtfeld folgen und das obwohl ihr Tod unausweichlich ist und eine Schlacht das Ende für alles bedeuten würde.

Selten war ich so zwiegespalten bei der Bewertung eines Buches: Das Lesevergnügen schwankte stark zwischen Langeweile und Begeisterung. Durch manche Abschnitte habe ich mich gequält, andere wiederum habe ich regelrecht verschlungen. Dies hat sich oft innerhalb von 10 Seiten gedreht und ein paar Absätze später war mein Eindruck schon wieder ein anderer. Deswegen denke ich, dass 3 Sterne eine faire Bewertung sind. Trotzdem kann ich "Apocalypsia" mit Abstrichen an Leser weiterempfehlen, die ruhige und hintergründige Fantasyromane mögen. Auch Anhänger von normalen Romanen und Erzählungen mit einer etwas offenen Einstellung für Mystisches könnten mal einen Blick darauf werfen.