In jeder Hinsicht oberflächlich und belanglos.
Rezension zu: Askendor
Prämisse:
als Florentine durch Zufall bemerkt, dass eine Verbindung zwischen ihrer Welt und der Welt den Online – Rollenspiels Askendor besteht, in welcher sie auf den menschlichen Thronfolger Thosse van Baar trifft, gerät ihr, bis dahin von ihrer Mutter streng kontrolliertes Leben aus den Fugen. Sie muss sich mit einer Rebellion in Askendor und ihren Gefühlen für Thosse van Baar auseinandersetzen. Besonders als letztgenannter die reale Welt betritt.
Bewertung:
Die ersten fünfzig Seiten von „Askendor“ sind wirklich gut. Schon auf den ersten Seiten wird das Maß an Kontrolle welches Florentines Mutter auf ihre Tochter ausübt und ihr damit einhergehender Mangel an einer unabhängigen Lebensvision auf anschauliche Weise porträtiert. Auch die Plotentwicklung befand sich in diesem Teil des Buches auf einem hohen Niveau. Die meisten der wichtigsten Charaktere werden vorgestellt.und Florentine betritt Askendor, wobei dieser Schritt trotz ihrer bisherigen Abstinenz bezüglich Computerspiele logisch und nachvollziehbar erscheint. Zudem etablieren diese ersten Seiten ein Stilmittel welches sich durch das gesamte Buch zieht: Florentines sarkastische Zwischenkommentare die in Kursivschrift abgedruckt in den eigentlichen Text integriert sind. Beispielsweise: "Wenn sie jetzt schon schlapp macht, braucht sie für das was noch kommt ein Sauerstoffzelt." "Niemand hörte gern, dass der Sinn seines Lebens darin bestand gelangweilte Jugendliche zu unterhalten. Außer vielleicht wenn er Lehrer ist." "Komisch, sie hat gar nicht - regelmäßig atmen - daraufgeschrieben." Diese – in sehr hoher Stückzahl präsenten - Kommentare schaffen abseits davon, dass sie äußerst unterhaltsam sind, noch zwei weitere Dinge. Erstens fangen sie das Wesen eines Jugendlichen sehr gut ein und andererseits lösen sie ein Problem welches Ich – Perspektiven häufig haben. Sie sind alle irgendwie gleich. Das größte Pro – Argument bezüglich der Ich – Perspektive ist, dass der Leser sehr nahe an der Hauptfigur ist und bedingt durch diese Intimität die Gedanken und Gefühle der erzählenden Figur besser nachvollziehen und so mit ihr mitfühlen kann. Das ist auch prinzipiell korrekt, wird in der Praxis jedoch sehr häufig durch den Umstand torpediert, dass sich die Gedanken und Gefühle der erzählenden Figuren – besonders im Jugendbuchbereich – sehr ähnlich sind, bis hin zu dem Grad an dem es nicht auffallen würde sollten die Ich – Erzähler mit einem anderen ausgetauscht werden, da es ihnen an eigenen und individuellen Gedanken und Gefühlen mangelt. Dank dieser Kommentare hebt sich die Ich – Perspektive Florentines zumindest etwas von den anderen ab.
Ich habe im Vorhinein gehofft die eben angesprochen Aspekte, die sich auch schon in der Leseprobe offenbart haben wären nur die Spitze des Eisbergs, doch leider kann ich beim besten Willen keine weiteren uneingeschränkten positiven Aspekte an diesem Buch finden. Immerhin eingeschränkt gut sind die Charaktere. Von den Jugendlichen habe ich alle als symphatisch und authentisch empfunden jedoch – etwas was bei vielen anderen Jugendbüchern auch der Fall ist – als nicht mehr. Tiefgründige Figuren sucht man hier vergeblich. Jetzt könnte man einwenden, dass in einen Jugendbuch - besonders der rein unterhaltenden Art - charakterliche Tiefe nicht zwingend notwendig ist was auch prinzipiell nicht gänzlich inkorrekt ist, jedoch hat sich gerade bei diesen Buch ein Aspekt geradezu aufgedrängt. Nämlich die Frage was Florentine eigentlich von Leben möchte und der Umstand, dass sie das eben nicht weiß, was buchstäblich das erste ist was man über ihre Figur erfährt. Leider wird dieser Aspekt viel zu schnell fallengelassen und der Leser erhält bis zum Schluss keine Antwort. Auch der Plot mit Florentines strenger Mutter ist nichts weiter mehr als unterhaltend. Am Ende muss Florentine ihrer Mutter nur einmal ihre Meinung sagen, damit diese einlenkt und ihr einige Freiheiten gewährt und auch im vorherigen Verlauf erscheint ihre Mutter nicht so streng wie Florentine sie darstellt. Ein Umstand der an und für sich noch zu verzeihen wäre da Florentine noch ein pupertierendes Mädchen ist was im Gesamtkontext jedoch erneut potentielle Tiefgründigkeit verschwendet, was wiederum dem Buch nicht sehr zuträglich ist. Auch abseits davon lässt „Askendor“ sämtliche Möglichkeiten für Tiefgründigkeit liegen. Die philosophischen Fragen, welche die Verbindung zwischen Askendor und der realen Welt aufwirft, werden erst ganz zum Schluss andeutungsweise gestellt. Dennoch macht auch dieser Umstand allein „Askendor“ nicht zu der Enttäuschung die es ist. Eine spannende Geschichte hätte viele der vorhin genanten Kritikpunkte zwar nicht vollständig eliminiert aber zumindest abgeschwächt. Das setzt natürlich ein Vorhandensein dieser voraus was jedoch nicht der Fall ist. Vielmehr plätschert die Geschichte lange Zeit vor sich hin und wenn einmal etwas plotrelevantes geschieht (Florentines erster Ausflug nach Askendor, Thosse van Baars Ausflug in die reale Welt) fühlt sich das nicht spannend an. Ein Grund dafür ist die fehlende Fallhöhe. Ich hatte niemals den Eindruck das Leben oder auch nur die körperliche Unversehrtheit der Protagonisten sei ernsthaft gefährdet. Das gilt in noch höheren Maße für den Hauptplot. Zum Kontext: Thosse van Baar ist er Thronfolger Askendors, doch sein Herschaftsanspruch ist gefährdet, da sein ehemaliger Freund und quasi Bruder Ulfren dan Flödar ebenfalls den Thron beansprucht und dafür bereit ist bis zum Äußersten zu gehen. Das ist eine gute Grundlage, doch Ulfren dan Flödar glänzt die meiste Zeit über durch Absztinenz und wenn er die Bühne betritt wirkt die von ihm ausgehende Gefahr auch nicht sonderlich groß. Ein Grund hierfür ist, dass die Fallhöhe nicht etabliert wird. Was geschieht wenn Ulfren dan Flödar Erfolg hat? Wäre er ein mit eiserner Faust regierender Despot? Würde er das Land zu Grunde richten weil er ein inkompetenter König wäre? Man weiß es nicht. Der Umstand, dass Ulfren dan Flödar jedes Mittel recht ist um an den Thron zu gelangen allein genügt nicht um diese Frage hinreichend zu klären. Womöglich ist Ulfren dan Födar machiavellistisch geprägt oder sein Anspruch auf den Thron ist rechtens (auch hier besteht keine vollständige Klarheit). Vielleicht wäre er auch ein besserer König als Thosse van Baar, denn auch dieser hat keine Probleme damit seine Herschaft über Askendor mit Autorität und Gewalt aufrechtzuerhalten. Der zweite Grund für die mangelnde Spannung liegt in den seichten Emotionen der Charaktere begründet. Auf die oben genannten Szenen reagieren sie eher locker und unbeeindruckt,ebenso wie auf alles andere. Was angesichts der Ereignisse nicht weniger als absurd wirkt. An keiner Stelle erlebt der Leser tiefgehende negative Emotionen wie Wut, Angst oder dergleichen, an starken positiven Emotionen mangelt es genauso. Als wäre der gesamte Plot nur ein Spiel. Durch diese seichten Emotionen war es mir nicht möglich Spannung zu empfinden. Die Emotionen und Reaktionen der Protagonisten sind sehr wichtig für die Wahrnehmung des Lesers, was einen in vollem Maße wahrscheinlich erst bewusst wird wenn diese Emotionen fehlen.
Ich hätte niemals gedacht, dass ich etwas derartiges einmal von mir geben würde, aber das Buch besitzt zu wenig Drama. Der traurige Höhepunkt dessen ist die Liebesgeschichte zwischen Florentine und Thosse van Baar. Diesesmal hat mich nicht vordergründig das Vorhandensein der Liebesgeschichte gestört sondern ihre Art. Ich habe in meiner Rezension zu „Ingenium“ die Liebesgeschichte harsch kritisiert und dahinter stehe ich auch nach wie vor, doch im Nachinein muss ich ihr zugestehen, dass die beiden Liebenden wenigstens eine Chemie zueinander hatten. Und auch in den meisten anderen Büchern verstehe ich wenigstens warum die beiden sich ineinander verlieben, was ich hier beim besten Willen nicht behaupten kann. Ich habe keine Ahnung wie Florentine und Thosse van Baar eine von Liebe geprägte Beziehung zueinander entwickeln konnten. Thosse van Baar behandelt Florentine grob und diese macht sich darüber lustig. Aber das ist alles egal ab einem gewissen Punkt lieben sich die beiden einfach. Beinahe noch schlimmer,ja fast schon katastrophal ist wie „Askendor“ den „Thosse van Baar kommt in die reale Welt“ Handlungsstrang umsetzt. Ungefähr bei zwei dritteln des Buches gelangt Thosse van Baar in die reale Welt (in einer sehr merkwürdigen Szene, aber dies sei hier nur am Rande erwähnt) und muss durch die Protagonisten nun natürlich getarnt werden. Dieser Plot bietet mannigfaltige Möglichkeiten von denen das Buch keine einzige nutzt. Wie reagiert eine Videospielfigur auf die reale Welt? (Eigentlich ist Thosse van Baar ein echter Mensch im Spiel, aber da er die reale Welt nicht kennt bleibt diese Frage dennoch bestehen). Ein Kulturschock bleibt aus. Thosse van Baar reagiert ebenso gelassen wie die Hauptfiguren auf den Umstand, dass er gerade die Welt gewechselt hat. Wie agieren uneingeweihte menschliche Figuren auf ihn? Eine Szene in der der Thronfolger mit Jugendlichen oder anderen nicht eingeweihten Menschen spricht existiert nicht. Ulfren dan Flödar ist ebenfalls in der realen Welt. Was wird wohl geschehen wenn die beiden sich begegnen? Werden sie sich erkennen? Wenn sie sich erkennen wie reagieren sie aufeinander? Die beiden begegnen sich nicht. Einen Plot mit einem derartigen Potential solcherart zu verschwenden ist objektiv gesehen auch eine Leistung. Ich gehe so weit zu behaupten, dass Thosse van Baar auch in dem Spiel hätte bleiben können und es hätte sich nichts relevantes geändert.
Auch das gesamte Konzept der Parallelwelten ist ungenügend umgesetzt wurden. Ich bin bereit eine Menge zu akzeptieren aber ich möchte zumindest den Ansatz einer Erklärung und der ist hier nicht gegeben, mit Ausnahme einiger Sätze kurz vor Schluss.
Folgendes habe ich verstanden: Askendor ist eine eigene reale Welt mit realen Wesen, jedoch wurde durch das Videospiel unsere Welt mit ihrer verbunden. Die Figuren der Spieler sind keine eigenständigen Wesen sondern nur Videospielfiguren. Aber es ergibt alles keinen Sinn und wirft folgende Fragen auf: Wie ist es möglich, dass das Spiel mit eine realen Welt verbunden ist? Haben die Entwickler derartig nahe an dieser Realität programmiert das sich ihr Spiel mit der Welt verbunden hat? Warum leben die Personen in Askendor einfach weiter als wäre nichts geschehen obwohl ständig neue Wesen (Spielerfiguren) auftauchen? Weshalb sieht Thosse van Baar nur Florentine wenn diese auf den Bildschirm schaut? Was sind die Kriterien dafür wer innerhalb des Spiels gesehen werden kann und wer nicht? Warum fällt niemanden sonst auf, dass Askendor real ist? Ich könnte noch lange so weitermachen. Zum Beispiel weiß Thosse van Baar nicht nur was ein Computer ist, er weiß nicht nur wie man ihn benutzt, nein er ist ein wahrer Programmiervirtuose.
Wenn sich der Leser jetzt fragt wie das sein kann so bleibt mir nur die Antwort des Buches weiterzuleiten. Akzeptiere es einfach und denke nicht zulange darüber nach. Im übrigen benutzt Thosse van Baar seine Programmierfähigkeiten dazu Figuren im Spiel zu programmieren (zu erschaffen). Wie ich schon schrieb, ich könnte noch lange so weitermachen, sehr lange. Ich muss dazu sagen ich habe prinzipiell kein Problem damit wenn ein Mysterium ungelöst bleibt solange dies eine Art von Botschaft enthält oder der Leser selber aktiv werden und interpretieren muss. Ich kann mich irren aber ich hatte den Eindruck, dass die Aurorin hier einfach keine Ahnung hatte wie sie alles auflösen sollte und es deswegen nicht einmal versucht hat. Am Rande erwähnt. In diesem Buch wird gegendert und zwar sehr inkonsequent.
Fazit:
„Askendor“ konnte meine Erwartungen leider nicht erfüllen. Statt einer spannenden Geschichte, die sich mit der Identitätsfindung und anderen philosophischen Fragen beschäftigt, ist „Askendor“ eine in jeder Hinsicht oberflächliche und glattgebügelte Geschichte ohne Ecken und Kanten. Den Figuren mangelt es an emotionaler und charakterlicher Tiefe, die Fallhöhe ist ungefähr so hoch wie eine Bordsteinkante und die Welt die das Buch aufbaut wirkt konfus sowie unausgereift. Auch in anderen Aspekten lässt das Buch sein Potential verschwendet zurück. Der einzige Lichtblick ist die durch sarkastische Kommentare individualisierte Ich – Perspektive. Zusammengefasst ist „Askendor“ das oberflächlichste Buch, welches ich jemals gelesen habe. Wer ein Buch lesen möchte welches das Thema Videospiel auf eine spannende Weise behandelt, dem lege ich „Erebos“ und „Erebos 2“ von Ursula Poznanski ans Herz. „Askendor“ hingegen verdient meiner Meinung nach keine bessere Sternebewertung als:
1,5/5