Asphaltengel

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jam Avatar

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„Ihr habt BHs verbrannt, und wir binden Kopftücher um. Aus genau dem gleichen Grund. Und niemals sind mir die Männer mit solchem Hass begegnet wie seit dem Moment, in dem ich entschieden habe, was sie von mir nicht zu sehen bekommen sollen.“

Cover:
Das Buch ist schwarz-pink gestreift, in Großbuchstaben steht der Titel darauf.
Verrät erst mal gar nichts über den Inhalt. Die Bedeutung des Wortes Asphaltengel kannte ich aus dem deutschen Sprachgebraucht nicht.
So wie ich das aus dem Klappentext bzw. dem Buch verstehe, werden so Mädchen genannt, die für ihre Vergehen von der Familie bzw. Glaubensgemeinschaft durch Balkonstürze bestraft werden. Teilweise springen sie freiwillig.

Inhalt:
Leyla und Samira leben in Finnland, ihr Vater ist aus dem Maghreb, ein Moslem, ihre Mutter Finnin. Farid ist ein Ramadan-Moslem, der mit den strengen Regeln nicht viel am Hut hat.
Eines Tages konvertiert die Mutter, wird von da an eine fanatische Muslima, viel strenger als der Vater, der sich daraufhin einfach zurückzieht. Fernsehen ist verboten, Bilder auch, …
Samira flieht und wird eines Tages schwer verletzt aufgefunden. War es jemand aus der Glaubensgemeinschaft ihrer Mutter, ein Rassist, wurde sie zum Asphaltengel?
Leyla, die in einer heimlichen lesbischen Liebe mit Linda verbunden ist, begibt sich mit Jasmina, Samiras Freundin, auf die Suche nach dem Täter.

Wie es mir dabei ging:
Das Buch beschreibt den Zeitraum von Oktober 2005 bis August 2008, die Handlung springt zwischen Samiras und Leylas Sicht und auch den Jahren hin und her. Teilweise enthalten diese Kapitel auch noch Rückblenden, manchmal brauchte ich einen Moment um mich zurechtzufinden.
Auch ist die Geschichte immer wieder mit finnischen und arabischen Wörtern durchzogen.
Diese werden in einem angehängten Glossar erklärt, das Zurückblättern aber bringt den Leser aus der Fahrt. Doch vielleicht gerade dadurch prägen sie sich ein und nach ein paar Tagen habe ich mich selbst dabei erwischt, wie ich in Gedanken „vittu“ (=“fuck“) gemurmelt habe…
Trotz und vielleicht gerade wegen dieser Eigenheiten hat mich das Buch sehr in seinen Bann gezogen. Ich lebe in einem Ort gemeinsam mit vielen Menschen mit Migrationshintergrund, denen oft sehr negativ begegnet wird. Durch Leylas Augen zu sehen, wie es Moslems in anderen Ländern geht, mit welchen Problemen Konvertierte zu kämpfen haben, daran erinnert zu werden, dass es auch in anderen Religionen Fanaten gibt, hat mich viel grübeln lassen.
Leyla lebt in einer großen Stadt in Finnland, in der Schutzmänner unkontrolliert walten können, in der man, wenn man „anders“ ist, zwar wohnen kann, aber sich nicht zu Hause fühlen kann.
Ihr Leben, ihre Hobbys, ihr Umfeld sind so weit weg von allem, was ich kenne und in meinem bisherigen Leben erfahren durfte, das ich oft pausieren musste um mich bewusst in die Situation einzufühlen.

Die Suche nach den Tätern entwickelt sich langsam, anfangs unbewusst, wird durch Zufälle gesteuert und führt einen subtil immer ein kleines Stück in die falsche Richtung. Sie zeigt wie zerrissen man sich fühlen kann, wie schwierig es ist, weder in der alten noch in der neuen Heimat richtig willkommen zu sein.
Und dass sich trotz aller Schwierigkeiten, festgefahrenen Meinungen und Umständen doch etwas ändern kann, zwar in kleinen Schritten, die dennoch weiterführen…

Fazit:
Das Buch stimmte mich sehr nachdenklich, vor allem auch die Dialoge darüber, wie uns die Emanzipation dazu bringt, die Röcke zu kürzen und sexuell frei zu sein, was den Männern ja doch auch sehr recht kommt, hat es mir ermöglicht, Dinge aus einer ganz anderen Perspektive zu sehen.
Und wieder einmal darüber nachzudenken, dass man nicht nur Vorurteile immer wieder durchleuchten soll und muss.