Von Glaube, Heimat und Sexyness

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alasca Avatar

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Leila und ihre große Schwester Samira sind in Finnland geboren, müssen sich aber ständig fragen lassen, wie es ihnen „hier“ denn so gefällt, denn vor allem Samira sieht man den maghrebinischen Vater an. Die Mutter ist Finnin, zum Islam konvertiert und seitdem muslimischer als ihr Mann Farid, dem das längst zu viel ist. Sie trägt den Hijab, das traditionelle Kopftuch, um sich vom westlichen Diktat der Sexyness zu befreien. Von ihren Töchtern verlangt sie das gleiche - die aber haben ihre eigenen Probleme. Zur richtigen Clique gehören. Die richtigen Jungs interessieren. Die richtigen Brands tragen. Nicht leicht zu haben, aber auch nicht prüde sein.

Die Nöte der Mädchen machen klar, dass auch finnische (westliche) Frauen einem Kleiderkodex unterliegen. Im Grunde befinden sich beide Auffassungen (das Diktat der Sexyness versus Verhüllung) an entgegengesetzten Enden ein und derselben Linie; es geht weder um Freiheit noch um Ehre: Es geht um Kontrolle. Das immerhin hat die Mutter erkannt: „Niemals … sind mir die Männer mit solchem Hass begegnet, als von dem Moment, an dem ich entschieden habe, was sie von mir nicht zu sehen bekommen sollen.“

Samira „… will von dem ganzen Blödsinn echt nichts hören!“ Als Farid anfängt, ihre Hochzeit zu planen, zieht sie zu Hause aus. Unerhört für eine muslimische Familie – und gefährlich für Samira. Sie legt sich einen (rechtsextremen!) Freund samt Sexleben zu, aber dann beginnt sie, im kalten Wind der Freiheit zu frieren, und eine langsame Drift zurück in die Wärme des Glaubens beginnt. Leila, die jüngere Tochter, hat ihre eigene Taktik der Verweigerung: Hoodie statt Hijab, Hindernislauf statt Laufsteg – mit ihrer Clique läuft sie „Parkour“; wilde Rennen durch die Stadt, über Autos, Mauern, Tore und Hecken, durch Hinterhöfe, Gassen und Gärten. Das wird so mitreißend geschildert, dass frau mitlaufen würde, wenn sie könnte … Überhaupt sind Holmströms Figuren so lebendig, sie scheinen aus den Seiten herausspringen zu wollen. Holmström trifft Diktion und Sound der Jugend perfekt. Spannend ist die Story auch, denn …

… nun liegt Samira, der „Asphaltengel“, im Koma, und Leila will wissen, was geschehen ist. Stück für Stück und mithilfe Samiras bester Freundin Jasmina dröselt Leila die Geschichte von Samiras Revolution auf, bis zum überraschenden Finale. Jasmina hat auch die Lösung für das Problem des muslimischen Extremismus, der dem Westen so viel Angst macht: „Die einzige Art, den Islamismus zu bekämpfen, besteht darin, dass man selbst ein liberaler Muslim wird. Ihr Spiel spielt, es aber gewinnt“, sagt sie zu Piter, Samiras Freund. „Du kannst dich als Guerillasoldat betrachten, wenn das besser in dein Weltbild passt. (…) Komm zu uns. Heirate Samira. Mach ein dutzend liberale Muslime.“

Holmström nimmt die gängigen Vorurteile und konterkariert sie: Die Christen sind fundamentaler als die Muslime; Jasmina findet eine paradoxe Freiheit in der Untergrundszene von Teheran; ein Körper wird verheiratet, was Gefangennahme meint oder Erfüllung, je nach Standpunkt. Das kann man plakativ finden, oder naiv, aber mich überzeugte Holmström fast gegen meinen Willen. Sie provoziert mit Bedacht, und vor allem: Sie weiß, wovon sie redet, denn sie kennt die Welt ihrer Heldinnen aus eigener Erfahrung, vor allem das Dilemma der Jugendlichen, die nicht gegen den Glauben rebellieren, sondern gegen die Tradition, und sich damit zwischen alle Stühle setzen.

Ein mutiges Buch, das dazu beitragen könnte, die Mauer wechselseitiger Vorurteile zwischen den Kulturen niederzureißen.