Zwischen den Welten

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hybris Avatar

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Ersteindruck vor der Lektüre:

Die Leseprobe fand ich klasse. Erzählt wird aus einer jungen Perspektive. Vater, Mutter, 2 Töchter in Skandinavien. Doch keine Ikea-Idylle. Die Mutter ist zum Islam konvertiert und spricht Verbote aus - "haram"! mahnt sie. Leila und Samira haben ihre liebe Not, denn als Töchter einer Konvertitin, die quasi päpstlicher als der Papst ist, haben sie es schwer. Der Vater ist aus dem Maghreb, nicht so gläubig und abwesend.
Es gibt aber einige interessante Denkanstöße: Wer ist rebellischer oder emanzipierter ? Die westliche Frau, die einst BHs verbrannte, oder die "Orientalin", die sich dem sexorientierten, Körperkultfixierten Modediktat der westl. Welt durch Verschleierung entzieht? Und dann gilt es ja auch noch, ein Verbrechen aufzuklären....

Gerne wollte ich dieses ungewöhnliche Buch testlesen und rezensieren, da es sich in Romanform mit Interkulturalitaet beschäftigt, mal nicht aus dt. Sicht, nicht aus türk. Sicht, sondern aus skandinavisch - maghrebinischer.

Mein Fazit nach der Lektüre:

Der Roman war vielschichtiger als ich dachte, und doch auch vordergründig ein Jugendbuch. Schon das vorangestellte Zitat von Tupac fand ich treffend: "Only God can judge me." Und auch bezeichnend.
Besonders berührend fand ich die Ethnisierungs - und Fremdheitserfahrungen der Protagonisten, den alltäglichen Rassismus: Da wird der Busfahrer- Vater zum Ausländer, wenn er einen Fehler macht, er möge doch "nach Afrika zurück" gehen. Oder Samira wird, durchaus wohlmeinend, aber nicht minder rassistisch, zu ihrer "eigentlichen Heimat" befragt.
Das mobbing unter Schulkindern fand ich bedrückend, wie etwa Anna terrorisiert wird (sie ist arm, hat zu kurze Hosen) und sich trotzdem in der sozialen Hackordnung über Leila wissen will, ist schon hart. Die Lehrer schauen mehr oder weniger weg, und als Leila, der die Hose geklaut wird, in ein Taxi gesetzt wird, fand ich das nicht unbedingt eine pädagogische Glanzleistung.
Man sieht, das Buch ist am Puls der Zeit. Andererseits wird auch das Leben im Maghreb nicht verherrlicht, da kann es schon mal sein, dass eine Frau im Kindbett verblutet, weil "kein anderer Mann ihren Unterleib sehen soll."
Im Roman sieht man also die vielen Spannungsfelder, mit denen ein Kind mit hybrider Identität konfrontiert sein kann, den alltäglichen Rassismus und mannigfaltigen Anpassungsdruck nach innen und aussen (klaut es? Ist es dumm wegen seiner dunkleren Hautfarbe? ein braves Mädchen, eine gute Muslima?).
Sehr gefreut habe ich mich über das Arabofinnische Glossar, da ich beide Sprachen nicht verstehe. Manches erklärte sich aber auch aus dem Kontext, etwa "zinaa".
Übrigens waren die fremdsprachigen Eisprengsel gut platziert, chapeau.
"Asphaltengel" ist ein sehr lesenswertes Buch ohne Kitsch. Die meisten Klischees werden umschifft, und es werden keine stereotypen Elemente eingesetzt. Den Roman habe ich in einem Rutsch ausgelesen.