Für mich kein Thriller im eigentlichen Sinn

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singstar72 Avatar

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Zugegeben, ich habe das Buch in nur etwas mehr als einem Tag ausgelesen. Als „Pageturner“ würde ich es dennoch nicht bezeichnen, und auch nicht wirklich als Thriller. Mein Bauchgefühl liegt etwas ratlos irgendwo in der Mitte. Das Buch ist gut und flüssig lesbar, hat aber Schwächen, die ich nicht übersehen kann.

Für mich ist es eher ein psychologischer Roman über eine zutiefst verstörte Frau. Als Handbuch für Studenten der Psychiatrie wäre es sogar ganz passabel zu gebrauchen. Mein Misstrauen gegenüber der Erzählerin und Titelheldin Nile war von Anfang an geweckt. Sie wirkte auf mich viel zu gehetzt, und ihre Gedanken waren vollkommen unlogisch. Und es gab da deutliche Leerstellen in ihrer Erzählung von ihrem Leben mit Ben – Ben, der nach einem Einkaufsbummel „plötzlich“ verschwunden ist. Ich habe auf eine bipolare Störung getippt, für die ja Stimmungsschwankungen und Anfälle von manischem Handlungseifer typisch sind.

Die Handlung verläuft rasant, das ja. Und sie hält einige Überraschungen bereit, nach denen man sich als Leser verwirrt die Augen reibt. Die Autorin des Buches ist insofern geschickt vorgegangen, da sie ständig (für den aufmerksamen Leser) Zweifel an Niles geistiger Gesundheit streut. Dennoch halte ich so manches für unglaubwürdig, auch in einem Thriller. Die Maßnahmen, die Nile von einem Augenblick auf den anderen zu ergreifen bereit ist, stehen in überhaupt keinem Verhältnis zu dem, was vorgefallen ist. Und von dem sie die Hälfte nur vermutet. Auch die Personen in ihrem Umfeld verhalten sich seltsam. Ich an der Stelle der Fast-Exfrau von Ben hätte auf der Stelle Nile einweisen lassen! Und ihr nicht noch geholfen.

Das Ganze ist in einem ständigen inneren Monolog von Nile geschrieben. Das trägt einerseits zur gewollten „Atemlosigkeit“ des Buches bei, lässt aber die anderen Figuren seltsam flach erscheinen. Für mich gehört zu einem wirklich guten Thriller auch eine ausgewogene Psychologie. Die gibt es hier aber – wenn überhaupt – nur für Nile.

Recht gut hingegen fand ich, wie die Mechanismen einer missbräuchlichen Beziehung beleuchtet werden. Wie man bereit ist, über Merkwürdigkeiten des Partners hinwegzusehen, bis es einfach nicht mehr geht. Wie das persönliche Umfeld reagiert, wenn eine Beziehung kriselt. Und wie sich Menschen langsam isolieren können, sich in ihrer eigenen Welt verlieren. Wie gesagt – fast ein psychologisches Handbuch! Aber eben kein Thriller.

Als letzten Kritikpunkt möchte ich noch die Sprache erwähnen, die mir auch zu „glatt“ und ereignislos war. Auch das geht in hochklassigen Thrillern besser. Im Idealfall liest man einen guten Thriller sogar mehrmals, weil der Reiz eben in mehr als der Auflösung liegt. Das ist hier leider nicht der Fall. So bleibe ich bei 3 etwas ratlosen Sternen.