Spiegel der Gesellschaft?

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Ist es die tragische Geschichte von Felix Licht, mittelalt, weiß, männlich, berufserfahren bei einem einflussreichen Politikmagazin – und irgendwo zwischen wutentbrannt und verzweifelt, nachdem der lang ersehne Sprung auf den Posten des Chefredakteurs jäh fehlschlägt? Oder die schillernde Erfolgsstory von Zoe Rauch und ihrem größten beruflichen Coup, als überraschende Wahl der neuen Chefredakteurin mit einem Paukenschlag den Wandel des Magazins nicht nur einzuläuten, sondern – jung, dunkelhäutig, woke – auch in Perfektion zu verkörpern?
Peter Huths Hauptfiguren wirken auf den ersten Blick stereotyp, bringen sie doch alles mit, was man etwa vom Typ ‚Karrierist‘ oder ‚Aktivistin‘ erwartet, doch neben der persönlichen Komponente stellt „Aufsteiger“ vor allem die Interaktionen und Konfrontationen zwischen politischen, gesellschaftlichen, individuellen Standpunkten ins Zentrum. Da gibt es dann nicht nur die erwartbaren Spannungen zwischen den Einzelschicksalen und ideologischen Grundfesten. Stattdessen beginnt das Abwägen, das Aushandeln: Welches persönliche Ziel wiegt vielleicht schwerer als eine alte, politische Feindschaft? Wer priorisiert Geld, wer Macht, wer Medienpräsenz? Sowohl Felix und Zoe als auch die übrige Handvoll an schlüssig ausgearbeiteten Charakteren müssen sich an verschiedenen Fronten behaupten oder verteidigen. Dadurch gewinnen die Allianzen und Zweckbündnisse Dynamik und die Handlung entwickelt einen Zug, der sie trotz der präzise verhandelten Themenkomplexe flüssig lesbar macht. Huths Anliegen ist es nicht, einen Standpunkt hervorzuheben, sondern eine sachliche Diskussion heikler Themen zu leisten, die sich nicht ausschließlich in persönlichen Angriffen und letztlich leeren, weil argumentativ nicht mehr zugänglichen Phrasen und blind wiederholten Parolen totläuft.
Der stinkreiche Verleger Berg und die aus der Armut stammende Zoe rücken die Perspektive ihres Gegenüber jeweils ins Verhältnis, weil sie ihre eigene Lebensrealität dagegenhalten können, die eben genauso echt ist. Gleichzeitig sind sie sich ihrer Rolle als Vertreter einer bestimmten Gesellschaftsgruppe bewusst und verhandeln in ihren Entscheidungen ihr individuelles Empfinden mit einem erhofften gemeingültigen Konsens.
Für mich war es kein Buch, mit dem man schnell abschließt, denn dafür sind die Positionen, Konflikte und Themen darin zu groß, zu zahlreich und zu brisant. Gerade politisch interessierten Leser*innen kann ich es daher empfehlen!