Von allem zu viel!

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igela Avatar

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Obwohl es kurz vor Weihnachten ist, hat das Dezernat für Kapitalverbrechen in Montreal viel zu tun. Ein Obdachloser begeht Selbstmord und nach seinem Tod werden zwei Brieftaschen, die in seinem Besitz waren, gefunden. Eine gehörte der Psychologin Judith Harper, die ermordet wurde. Die andere dem Anwalt Nathan Lawson, der vermisst wird, nachdem er sein Büro hektisch mit Akten aus dem Archiv verlassen hatte. Ermittler Victor Lessard und Jacinthe Taillon suchen mit Hochdruck nach ihm.




Zugegeben, wenn ein Buch 640 Seiten dick ist, muss man fast damit rechnen, dass der Autor ordentlich ins Detail geht. Hier werden nicht nur Nebenfiguren, die einen kurzen Gastauftritt haben, detailliert beschrieben. Hier werden auch die Schauplätze minutiös erklärt. Ehrlich gesagt, ist es mir in einem Thriller egal, wie die vielen Strassen Montreals heissen. Denn um der Handlung folgen zu können, sind diese Nennungen absolut unwichtig.

Kapitelweise tauchen völlig neue Figuren in der Handlung auf. So viele, dass mir oft der Kopf geschwirrt hat. Gemeinerweise werden sie zudem einmal beim Vornamen, dann wieder nur beim Nachnamen genannt.
Als ob zwei Mordfälle zu Beginn nicht genug wären, hat Lessard noch private Sorgen mit seinem Sohn Martin. Was, ohne zu viel zu verraten, in anderen Büchern ein ausfüllender Strang wäre. Hier kommt diese geballte Ladung Kriminalität noch zur normalen Arbeit des Ermittlers dazu.

Oft ist in so komplexen Handlungen weniger mehr. Hier leider zu viel. Zu viele Figuren, zu viele Stränge, zu viel Handlung, zu viele Beschreibungen, zu viele Zeitebenen.

Was mich durchwegs durch das Buch und die verschachtelte Handlung getragen hat, waren die unkonventionellen Ermittler. Jacinthe Taillon sagt, was sie denkt, schert sich weder um Konventionen, noch um Hierarchien. Sie futtert sich durch das Buch und ihr Essverhalten wird zu einem Running Gag. Victor Lessard ist nicht der einfachste Arbeitskollege und ich denke, seine dunklen Schatten aus der Vergangenheit, kann nur jemand wie Jacinthe ertragen. Lessard tut alles um seiner jungen Freundin, die auch Polizistin ist, zu gefallen. Er ist eitel und sehr jähzornig. Obwohl beide Ermittler eine unkontrollierte Mischung aus Direktheit und Schlagkraft sind, haben sie ein fast liebevolles Verhältnis zueinander.

Der Schreibstil ist wie schon erwähnt, sehr ausschweifend. Ich habe mich dabei erwischt, dass ich die Augen gerollt habe, als wieder mal ein neues Kapitel begann, indem eine Randfigur bis ins Detail beschrieben wurde. Um 150 Seiten gekürzt, hätte dieser Thriller wohl auch Spannung abgekriegt. Leider kommt noch dazu, dass Ergebnisse und Spuren in der Ermittlungsarbeit per Zufall entdeckt werden. So schlägt Lessard in grosser Wut ein fremdes Badezimmer zu Brei und entdeckt hinter einer Kachel eine verhängnisvolle Spur. Und das nicht nur einmal, sondern gleich zweimal, in zwei unterschiedlichen Nasszellen. Da frage ich mich ernsthaft, ob dem Autor nichts anderes eingefallen ist oder er gehofft hat, dass man das als Leser bei der Länge des Buches in der Zwischenzeit vergisst?

Da dieser Band der erste sein soll, verstehe ich nicht recht, weshalb Bezug genommen wird zu privaten und arbeitstechnischen Details aus der Vergangenheit. So wie diese Details eingesetzt werden, könnte man denken, dass es vordere Bände gibt.