Fantastisch

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mike nelson Avatar

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Fantastisch. Einen großen Dank für die Wiederentdeckung und Neuveröffentlichung des großen Romans "Aus ihrer Sicht" der kubanisch-italienischen Schriftstellerin Alba de Céspedes (1997 in Paris verstorben). Der Roman ist ein Bericht, von der Protagonistin Alessandra, der Ehefrau und Mörderin des antifaschistischen Philosophen Francesco, in der Ich-Form im Gefängnis geschrieben. Der Mord steht am Ende der Geschichte, ist aber der Anlass, die Geschichte eines Frauenlebens von der Kindheit bis ins Erwachsenenalter hinein zu erzählen, auf dem Hintergrund patriarchalischer Familienverhältnisse und des Faschismus in Italien. Alessandra liebt ihre Mutter, die unter der Gefühlskälte und Korrektheit des Ehemannes leidet, sich schließlich in einen für diese Zeit untypischen Mann - einen musischen Schöngeist wie sie selbst - verliebt; Alessandras Mutter wählt den Weg in den Freitod, um sich nicht den herrschenden Konventionen unterwerfen zu müssen. Alessandra wird daraufhin von ihrem Vater aufs Land zur sehr matriarchal ausgerichteten Großmutter geschickt, wo sie ein weiteres Frauenbild kennenlernen darf. Auch hier trifft sie auf Lieblosigkeit. Alessandra entschließt sich, nicht den Hof der Großmutter zu übernehmen und nach Rom zurückzukehren, wo sie auf den Widerstandskämpfer Francesco trifft, sich in ihn verliebt und heiratet. Immer deutlicher wird aber, wie die klassische Ehe zu einem Korsett aus Lieblosigkeit und die Liebende zu einer Leibeigenen wird. Und genau diesen Prozess der Entstehung einer 'Mauer' zwischen den beiden beschreibt die Autorin in hervorragender Weise. Alessandra ist verzweifelt, dachte sie doch lange - anders als es ihrer Mutter noch möglich war - einen Weg gefunden zu haben, wie zwischen Mann und Frau die Liebe in Freiheit wachsen kann - aber für Francesco steht offenbar der politische Freiheitskampf im Vordergrund und darin definiert er seine Rolle als Mann, nicht als Liebender. Doch anders als ihrer Mutter richtet Alessandra die entstehende mörderische Aggression über die herrschenden Konventionen und die Unmöglichkeit der Liebe nicht gegen sich selbst, sondern gegen ihren Mann Francesco. Ein Maniferst für die Liebe, die Freiheit und gegen die traditionelle Ehe als Gefängnis. Unbedingt lesen, weil durchaus immer noch aktuell!