nicht allein aus ihrer Sicht

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katharina.51 Avatar

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Alessandra ist das Mädchen, aus dessen Sicht dieses Buch geschrieben wurde.
Sie wächst in einem ärmlichen römischen Haushalt auf, zusammen mit ihren Eltern und der Hausdienerin.
Die Mutter, eine feinsinnige Pianistin, die als Klavierlehrerin Geld verdienen muss ist ihre absolute Bezugsperson, der sie in jeder Hinsicht ähnlich ist.
Sie öffnet ihr die Augen und schärft ihre Sinne für die Umwelt, die Natur, das Leben der Frauen des Südens, wo man heiratet um Kinder zu bekommen, das Leben der Männer des Südens, die erst spät nach Hause kommen, erwarten, dass das Essen auf dem Tisch steht und die Hemden gebügelt sind. Die Männer, die ihr Leben getrennt von den Frauen führen, geschuldet der Tradition, der Erziehung, der Religion und der Armut, sind das ewige Thema.
Alessandras Eltern leben so.
Der Vater ist innerlich und äußerlich fern von den Frauen der Familie, ein kleiner Beamter, der keinerlei Interesse oder gar Verständnis hat für die Sensibilität und Feinsinnigkeit von Frau und Tochter, im Gegenteil, er verhöhnt, verlacht und verbietet sogar.
So sieht das Männerbild von Alessandra aus, bis sie jemanden heiratet, von dem sie will, dass er ganz anders sein soll.
Alessandra hat eine naive Vorstellung von der idealen Liebe, ähnlich der, wie man sie in den englischen Romanen des 19. Jahrhunderts findet, romantisch, mädchenhaft, märchenhaft, ewiges Verliebtsein, niemals sich ändernd. Sie soll nicht den Zwängen des alltäglichen Lebens unterworfen sein.
Alessandras Leben ist völlig verschieden von dem typischen Leben der damaligen italienischen Frau und doch ist es ihr nicht genug, sie will den Freiraum, den sie hat nicht selbst füllen. Sie will wahrgenommen werden, unbedingt reflektiert werden, in der Person ihres Geliebten. Sie ist übersensibel, sie steigert sich hinein in diese nicht zu stillende Sehnsucht nach dem absoluten Aufgehen in der Person des Geliebten. Bis zu einer tiefen Verzweiflung.
Ihr Mann lebt in seiner Männerwelt und kann ihr das was sie braucht nicht geben. Kein erfahrener Mensch ist um sie, der ihr das Leben erklären könnte.
Und so nimmt das Schicksal seinen Lauf.

Alba de Céspedes hat ein Buch geschrieben vom Erwachsenwerden, vom Erwachsensein, ein Buch von Männern und Frauen, ein Buch von grundverschiedenen Arten zu leben, von früher und von heute und vor allem ein Buch von der Liebe, die, nicht richtig verstanden, zu einer großen Qual werden kann.
Ihr Buch erfüllt die Kriterien der guten Literatur: prodesse et delectare, nützen und erfreuen, belehrend und unterhaltend.

Unbedingt lesenswert ist im Nachwort die Analyse von Barbara Vinken.