Gut, aber nicht ganz wie erwartet

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aoibheann Avatar

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Das Cover des Buches zeigt eine Bildcollage, ein zersplittertes Foto von Jack Unterweger. Darauf wirkt die Person verzerrt und abstrakt, es ist durchaus eine unheimliche Darstellung. Die Innenseite des Buches zeigt ein schwarz-weiß Foto von Unterweger, dieses Mal aber freundlich lächelnd im Blitzlichtgewitter der Fotografen. Beide Bilder zeigen auf sehr anschauliche Weise die beiden Seiten des Mannes, um denen es im Buch gehen wird.

Es ist für mich kein schlechtes Buch, aber auch nicht ganz das, was ich erwartet habe. Erwartet (oder vielleicht auch etwas erhofft) hatte ich mir eine Auseinandersetzung des Falles Unterweger mit der österreichischen Gesellschaft, insbesondere mit der Literaturbranche von einem Außenstehenden. Das ist nur zum Teil der Fall. Es ist eine Mischung aus erzählender Reportage und Kritik. Wobei letzteres eher zögerlich und oft nur widerwillig durchkommt. Malte Herwig ist in diesem Fall eher ein Herausgeber, den eigentlichen Text hat ein anonym bleibend wollender Autor verfasst. Dieser gibt unumwunden zu, sich an der „Befreiungsaktion“ für Unterwegs beteiligt gewesen zu sein und aus der Literaturbranche zu kommen. Herwig konfrontiert den unbekannten Autor mit den Fakten des Falles, lässt ihm Akten, Briefe, Tonbandmitschnitte und aufgezeichnete Interviews zukommen. Der unbekannte Autor gibt sich teilweise durchaus Mühe auch die „andere Seite“ des Falles zu betrachten. Von Verstehen würde ich an dieser Stelle nicht sprechen, denn meiner Meinung nach ist der unbekannte Mann davon meilenweit entfernt die Wahrheit, die Fakten auch nur verstehen zu wollen. Der Autor verfällt in eine Art Verteidigungsmodus. Die Erkenntnis, dass Unterweger alle getäuscht hat, indem er den unterschiedlichen Gruppen genau das vorgespielt hat, was diese hören bzw. sehen wollten und ihm nützlich war; dagegen sträubt er sich mit aller Macht. Er wirft auch Herwig auch immer wieder vor, ihn von seiner gefassten Meinung abbringen zu wollen. Der unbekannte Autor geht an diesen Stellen wenig schmeichelhaft mit dem Herausgeber um.
Manchmal wirkt der Text etwas wirr, dann springt er zwischen Reportage und eigenen Gedanken hin und her. Das ist mitunter gar nicht so leicht zu lesen, vor allem wenn Interviewausschnitte mit Unterweger integriert werden. (Was für ein Schwätzer dieser Mann war! Unglaublich.)

Am Ende wird der Autor dann doch ein wenig nachdenklich und stellt seine Rolle und die anderer Autoren in Frage. Dieser Moment dauert allerdings auch nicht lange und die Selbstkritik ist auch eher sehr sehr dünn. Am meisten negativ aufgestoßen ist mir, dass Unterwegers Opfer für ihn gesichtslose „Etwasse“ sind. Er blendet sie aus, als hätten sie nie existiert. Als wären sie eine reine Erfindung der Medien um einem beliebig ausgewählten Menschen Verbrechen anzulasten. Es wirkt auf mich so unglaublich empathielos.

Eine umfassende und abschließende Analyse des ganzen Falles wird vermutlich nie möglich sein. Daher war das Buch durchaus ein interessanter Einblick in die Gedanken eines Beteiligten und seine Beweggründe. Über das Ausmaß kann man eigentlich nur den Kopf schütteln und hoffen, dass wir als Gesellschaft heute, nach so vielen Jahren, weiter sind.