Wie sich ein Serienmörder aus dem Gefängnis schrieb

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liselottchen1 Avatar

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Jack Unterweger war ein verurteilter Mörder, der im Gefängnis anfing zu schreiben. Mit Hilfe einer bekannten Journalistin schaffte er es, dass seine Texte in Zeitungen und letztlich auch sein Buch »Fegefeuer« veröffentlicht wurde. Diese Prominenz verschaffte ihm viele Anhängerinnen und Anhänger in der Kulturszene, die sich für ihn einsetzten und seine Freilassung erreichten. In den zwei Jahren seiner Freiheit ermordete er weitere Frauen, bis er endlich gefasst, überführt und vor Gericht gestellt wurde.

Da ich als Österreicherin den damaligen Hype um Unterweger miterlebt habe, war ich gespannt auf die Aufarbeitung nach so vielen Jahren. Es wurden bereits einige Bücher über ihn geschrieben und das hätte ihm, der förmlich nach Ruhm und Bekanntheit lechzte, bestimmt gut gefallen. Nach der Lektüre bleibe ich etwas zwiegespalten zurück.
Der Titel gefällt mir nicht. Er suggeriert, dass es nur in Österreich »Psychos« gäbe oder auch, dass er der Einzige wäre. Aber das ist freilich Geschmackssache.
Der Autor hat hier offenbar mit einem anderen Journalisten zusammengearbeitet, der das Geschehen rund um Unterweger live miterlebt hat. Dadurch entstand ein gewöhnungsbedürftig merkwürdiger Schreibstil. Der (namenlose) Journalist berichtet, wie auch er selbst dem Charisma von Jack verfallen sei und hätte zwischendurch Zwiesprache mit Herwig (dem Autor), was mich persönlich jedes Mal aus dem Lesefluss riss.
Beispiel: »Ich weiß schon, was Herwig denken wird, wenn er dies liest. Er ist ein Zyniker und glaubt nicht an das Gute im Menschen. ...«
Zwischen den Erzählungen/Berichten des unbekannten Autors sind Textstellen und Aussagen von Jack Unterweger persönlich. Von den Textstellen und seinem Buch »Fegefeuer« weiß man inzwischen, dass er den Großteil nicht selbst verfasst hat. Dieses Detail war mir unbekannt.
Ich habe mir erwartet, dass ich das Rätsel rund um seinen Einfluss auf die Frauen (sie schrieben ihm haufenweise Liebesbriefe ins Gefängnis, unterstützten und bezahlten für ihn während der zwei Jahre in Freiheit u.ä.) und auch auf die Kulturszene in Wien. Namhafte Personen aus Schriftstellerkreisen, Verlagsbranche und Journalismus setzten sich für seine Freilassung ein, und das, obwohl er zwar über Schuld schreibt, jedoch nie direkt über seinen Mord (vermutlich zwei, einen konnte man nie nachweisen). Auch als die Mordserie nach seiner Entlassung begann, hielten viele seine schützende Hand über ihn, denn offenbar konnte er sich selbst gut präsentieren und verkaufen, sodass es ihm niemand zugetraut hat. Diese Faszination kam für mich zu wenig heraus, so bleibt dies auch nach der Lektüre des Buches ein Mysterium.
Ich habe das Buch bei einer Buchverlosung gewonnen, wofür ich mich herzlich bedanke. Empfehlen kann ich es Leuten, die sich bereits mit Jack Unterweger befasst haben. Es geht es lediglich um sein künstlerisches Schaffen, das genauso ein Fake war, wie seine Texte, die Morde werden nur am Rand erwähnt. Es bleibt auch die Frage offen, ob man einem Mörder Amnestie gewähren darf, nur weil er ein künstlerisches Talent hat? Denn auch, wenn Unterweger offenbar nicht selbst/allein schreiben konnte, muss man ihm lassen, dass seine Performance überzeugend gewesen ist und immerhin für einige Zeit bestens funktioniert hat.