"Worte können töten"

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Wer kennt ihn nicht, den Jack Unterweger, den Prostituiertenmörder, der als Häfn-Poet nicht nur Österreichs Schickeria, sondern auch die Justiz austrickste?

Jack Unterweger kommt als unehelicher Sohn einer Kellnerin und eines US-Soldaten 1950 im steirischen Judenburg (Österreich) zur Welt. Er wächst bei seinen Großeltern auf und fällt bereits als Jugendlicher durch Einbrüche und Gewalt gegen Frauen auf. Seinen ersten Mord begeht er 1974 und wird daraufhin zu lebenslanger Haft verurteilt. Er sitzt in der Strafanstalt Stein ein.

Es ist die Zeit von Justizminister Christian Broda, der von der Utopie einer „gefängnislosen Gesellschaft“ träumt, weil er jeden Verurteilten für resozialisierbar hält, und daher gleichzeitig Verfahren gegen Täter des NS-Regimes verschleppen lässt.

Diese Stimmung nutzt Unterweger, der zuvor kaum schreiben und lesen kann, um seinen Hauptschulabschluss nachzuholen. Er dilettiert an Texten und schafft es, mit Unterstützung eine Art Autobiografie mit dem Titel „Fegefeuer oder die Reise ins Zuchthaus“ zu schreiben. Nachdem es auch die Zeit des experimentellen Schreibens ist, wird das Buch von der Kulturszene begeistert aufgenommen. 1983 kommt es zu der legendären Lesung in der Strafanstalt, in der auch der Co-Autor dieses Buches eingeladen ist.

Aufgrund von zahlreichen Petitionen und Gutachten wird Unterweger 1990 vorzeitig entlassen und gilt als resozialisiert. Er treibt sich in und mit der Wiener Schickeria herum, erhält Aufträge seites des ORF, verfasst Theaterstücke und versucht sich als Journalist.

Noch weiß bzw. ahnt niemand, dass Unterweger Texte aus der Gefängnisbibliothek abschreibt und für seine Zwecke missbraucht. Selbst die Geschichten für die Radiosendung „Das Traummännlein“ schreibt nicht er selbst, sondern seine Mentorin Sonja von Eisenstein. Niemand erkennt die Manipulationen, mit der Unterweger die Menschen an der Nase herumführt.

„Die Öffentlichkeit, diese unbekümmerte Öffentlichkeit, die dank ihrer Persönlichkeiten, ihres Einflusses gearbeitet haben in der Sache, die haben Unterweger schlicht und einfach freigepresst.“ (Oberst Willibald Zach, damals stellvertretender Anstaltsleiter).

Und fast schon prophetisch ergänzt Zach:
„Mit der Sprache muss man vorsichtig umgehen. Man darf die Wirkung der Sprache nicht unterschätzen. Ich gehe so weit: Sprache kann töten.“

Dazu passt auch Unterwegers Interview am Tag seiner Entlassung:

„Im Prinzip bin ich gefährlicher als vor der Haft, weil ich ja das Denken gelernt hab und das Wort als Waffe verwenden kann.“

In einer Talk-Show doziert er über Politik, die Strafrechtsreform (!) und andere aktuelle Themen der Gesellschaft. Wenn die Frage nach seinem Mord von 1974 kommt, wird er einsilbig und wirkt distanziert. Das Auditorium hält das für Reue.

Schon während der Haft erhält er Hunderte von Briefen, vor allem von Frauen, die sich zu ihm hingezogen fühlen. Nun, in Freiheit bedient sich Unterweger ihrer, denn Frauen sind für ihn vor allem eines: nützlich.

Wenig später werden in Brünn und wenige Wochen später in Bregenz zwei Frauen ermordet. Unterweger ist kurz davor in beiden Städten. Zufall? Oder, dass in den Wochen, die er in Los Angeles verbringt, mindestens drei Prostituierte erdrosselt werden? Noch ein Zufall?

Der Rest der Geschichte ist bekannt. Die Polizei von LA und Wien arbeiten zusammen und für Unterweger klicken in den USA die Handschellen. 1994 wird er des neunfachen Mordes schuldig gesprochen und abermals zu lebenslanger Haft verurteilt, erhängt sich aber in der Nacht nach dem Urteil in seiner Zelle.

Meine Meinung:

Autor Malte Herwig ist Autor und Journalist und hat für Zeitungen wie die „SZ“ sowie Magazine wie den „Spiegel“ zahlreiche Prominente und auch einige Kriminelle interviewt.

In diesem Buch verquickt er gekonnt Fakten und Fiktion zu einer packenden Erzählung. Aus Interviews sowohl mit Unterweger selbst als auch mit Zeitzeugen hält er uns den Spiegel der Manipulationen des Serienmörders Zeit vor Augen. Die alte Weisheit „Man sieht nur, was man sehen will“ hat sich hier auf dramatische und tödliche Art bewahrheitet.

Der Titel ist an „American Psycho“ von Bret Easton Ellis angelehnt, der über den Serienmörder Patrick Bateman schreibt, der tagsüber in seinem Büro in der Wall Street saß und nächtens zahlreiche Menschen ermordete.

Fazit:

Dieser packenden Geschichte über die Verblendung zahlreicher Mitglieder der Wiener Society durch die Manipulation eines Serienmörders gebe ich gerne 5 Sterne. Möge sie als abschreckendes Beispiel dienen.