Baba Dunjas letzte Liebe

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regenprinz Avatar

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Ich bin sehr angetan von diesem schmalen Buch, das mehr wie eine längere Erzählung denn wie ein Roman anmutet. Aber es hält, was Klappentext und Leseprobe versprochen haben und birgt zudem noch einige Überraschungen in der Handlung. Alina Bronsky hat eine Art zu erzählen, die ich großartig finde - gleichermaßen schlicht wie poetisch, mit wunderbar treffenden Beschreibungen und einem ganz besonderen Humor. Von letzterem hätte ich mir im Verlauf der Geschichte noch ein bisschen mehr gewünscht (die witzigste Szene ist m.E. diejenige mit dem Hahn zu Beginn), aber vielleicht wäre es dann zu viel Klamauk geworden. Und eigentlich hat Baba Dunjas Erzählung ja einen ernsten und tragischen Hintergrund, der hier feinfühlig thematisiert wird; nie in Vergessenheit gerät, aber auch niemals aufgebauscht wird.
Das Dorf Tschernowo liegt in der sog. Todeszone des Kernkraftwerks Tschernobyl. Hier haben sich ein paar ältere Bewohner wieder um Baba Dunja versammelt. Sie leben in den verlassenen Häusern und spielen dort den Tag nach, wie die Autorin es auf S. 107 nennt. Mit dem Bus in den nächstgelegenen Ort zu kommen ist mühsam, kaum einer mag die Strapazen auf sich nehmen, und so ist Baba Dunja die Einzige, die hin und wieder zum Einkaufen geht oder zur Post. Ansonsten leben sie von dem, was in ihren Gärten wächst und dass alles verstrahlt ist, stört keinen von ihnen, denn ihre Körper sind es auch längst. Baba Dunja schildert den Alltag im Dorf und ihre Situation sachlich und ohne Trauer oder Groll, obwohl spürbar wird, dass sie es sehr bedauert, ihrer Enkelin niemals begegnet zu sein. In den skizzierten Briefen an ihre Tochter Irina, die ihr Pakete aus Deutschland schickt, klingt sie noch zurückgenommener, damit diese sich keine Sorgen macht. Sie ist eine starke, unabhängige und dennoch sensible alte Frau und eine Figur, die ich sehr gut getroffen fand. Im Verlauf der Handlung bleibt sie sich treu, während z.B. ihre Nachbarin Marja eine für mich unerwartete Wandlung zeigt. Die sonstigen Bewohner sind alle ein bisschen skurril, passen aber perfekt in diese Geschichte, die zugleich märchenhaft wie realistisch daherkommt. Was alles passiert, nachdem eines Tages ein unbekannter Mann mit seiner Tochter in Tschernowo auftaucht und welche Botschaft Lauras Brief verbirgt, den Baba Dunja nicht lesen kann, darüber möchte ich nichts verraten, denn das war für mich unvorhersehbar und diesen Reiz möchte ich anderen keinesfalls nehmen.
Ansonsten haben mich viele Kleinigkeiten in diesem Buch fasziniert - die Toten, die wie selbstverständlich im Ort präsent sind, die besondere Tierwelt Tschernowos mit Katzen und Spinnen und fernsehenden Ziegen, die Sehnsucht nach Stille und Frieden und Ruhe, die Baba Dunja erfüllt. Es ist eine besondere Geschichte mit einem ganz eigenen, unverwechselbaren Zauber. Auf diese Weise an Tschernobyl zu erinnern und den Lesern so viele Jahre nach der Katastrophe die Folgen in Erinnerung zu rufen, das ist es, was Literatur mitunter so einzigartig macht. Danke dafür!