Die Freiheit, keine Angst zu haben

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sikal Avatar

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Vielen ist Tschnernobyl ein Begriff, den Jüngeren zumindest Fukushima – Orte, die in den Medien kursierten und deren schreckliche Ausmaße nur Betroffene direkt begreifen können. Wochenlang wird berichtet und danach begleiten uns wieder andere Themen, doch für die Menschen dort, beginnt ein Leben danach. Genau darum geht es in dem Buch von Alina Bronsky – um das Leben danach (oder eher den Versuch, mit dem Leben danach zurechtzukommen).

„Ich meine, wird diese Gegend irgendwann vergessen, was man ihr angetan hat? In hundert, zweihundert Jahren? Werden hier Menschen leben und glücklich und sorglos sein? Wie früher?“

Schauplatz ist der fiktive Ort Tschernowo innerhalb der Todeszone, die Menschen wurden nach dem Reaktorunfall evakuiert, in schnell errichteten Plattenbauten einquartiert und vergessen. Doch ein kleiner Teil wollte so nicht leben und kehrte nach und nach wieder in das kleine Dorf zurück, zu ihren Häusern und Gärten und doch in eine Gemeinschaft, die zusammenhält wenn es erforderlich ist. Baba Dunja ist eine von ihnen, sie ignoriert die kontaminierten Böden, die davon ausgehende Gefahr und erfreut sich an den spärlichen Kontakten zu ihrem verstorbenen Mann Jergo, ihrer in Deutschland lebenden Tochter Irina und nicht zuletzt an ihrer Enkelin Laura, die sie nie kennengelernt hat. Als sie von Laura einen Brief in Englisch bekommt, hütet sie ihn wie einen Schatz und versucht herauszufinden was ihre Enkelin ihr sagen möchte. Plötzlich taucht ein Fremder mit seiner Tochter in Tschernowo auf und die Gemeinschaft der Dorfbewohner wird auf eine harte Probe gestellt.

„In Tschernowo gab es keine türkischen Kaugummis, kein nachgemachtes Chanel-Parfum und keinen falschen Cognac, keine grell geschminkten Gesichter junger Mädchen, keine verwaschenen Jeans und keine schrille Musik. In Tschernowo gab es nur die Stille und mich.“

Die Autorin Alina Bronsky schafft es auf recht unspektakuläre Art und Weise ein kleines, feines Buch über Freiheit, Angst, Heimatverbundenheit und Familiensinn zu schreiben. Die Protagonistin hängt oft ihren Gedanken nach und als Leserin bzw. Leser kann man ihre Entscheidung so zu leben gut verstehen. Ihre Beweggründe beeindruckten mich und ließen mich nachdenklich werden. Vielleicht erzielt dieses Buch gerade durch seine ruhige, besonnene Sprache diese Wirkung. Die vielen Andeutungen lassen Raum für Interpretation und erzielen eine besondere Tiefe.

Eine wunderbare Geschichte über eine großartige Persönlichkeit in einem kleinen, großen Buch.