Eine charmante kleine Geschichte

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annajo Avatar

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Nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl kehrt knapp ein Dutzend Alte in ihren Heimatort Tschernowo zurück. Der Ort liegt in der sogenannten Todeszone, deswegen berichten auch die Medien darüber, als Baba Dunja als erste zurückkehrt. Sie findet, sie sei zu alt, um sich über ein Jahr mehr oder weniger Lebenszeit Gedanken zu machen. Nach und nach kehren weitere Menschen zurück; natürlich keine im zeugungs- oder empfängnisfähigen Alter. Das versteht sich für alle von selbst. Und natürlich keine Kinder. Es gibt kein fließend Wasser und Strom auch nur aus einem Aggregat und wer weiß, wie lange noch. Dafür kosten die Häuser keine Miete und der Boden ist ergiebig. Die Menschen können sich selbst versorgen. Doch dann kommen Fremde ins Dorf und stellen die Gemeinschaft, die bis dahin eigentlich keine ist, auf den Kopf.

Ich kann mich den Stimmen, die dieses Buch zu kurz finden, anschließen. Ein paar Seiten mehr hätten das Buch sicherlich nicht langweilig gemacht, aber vielleicht Raum gegeben, einige Dinge besser aufzulösen. Es gibt einige lose Fäden am Ende des Buches und insgesamt ein offenes Ende. Ich hätte durchaus gern mehr Zeit mit den zahlreichen skurrilen Charakteren verbracht. Ein Bewohner ist wunderlicher als der andere und Baba Dunja beobachtet sie alle scharfsinnig, treffend und humorvoll. Neben dem Unterhaltungsaspekt widmet sich das Buch jedoch auch dem ernsten Thema des Reaktorunglücks, des Umgangs damit und dem Bedürfnis der früheren Einwohner nach Heimat und ihrem althergebrachten Leben. Der Bus fährt nur bis zur Grenze der Todeszone. Ihre Einkäufe und Post müssen die teils mehr, teils weniger rüstigen Rentner von dort auf einem mehrstündigen Fußmarsch selbst nach Hause tragen. Für Journalisten und Wissenschaftler sind die Menschen in Tschernowo ein Kuriosum, dem man nur in Schutzanzügen begegnen kann. Baba Dunjas Kinder leben weit weg und nur die Tochter hält Kontakt. Ihre Briefe und Pakete sind Highlights in Baba Dunjas Alltag.

Alina Bronsky findet in diesem Buch einen wunderbaren Ton, der nichts ernst nimmt und trotzdem gut vermitteln kann, wenn die Protagonistin Emotionen durchlebt. Sie kann zudem gut die Lebenseinstellung Baba Dunjas, eines alten russischen Mütterchens, vermitteln, die nichts mehr braucht, aber nichts gegen die Pakete ihrer Tochter sagt, um ihr nicht das gute Gefühl zu verderben. Die Figuren sind gut, teilweise sogar überzeichnet, aber deshalb umso unterhaltsamer und liebenswerter. Alle Leben in Tschernowo, um ihre Ruhe zu haben, und doch suchen sie nach Gemeinschaft, was manchmal seltsame Blüten treibt. Absolut passend zum Buch ist das Cover gestaltet, das im Stil eines 80er Jahre Werbe- oder Propagandaplakats gestaltet ist. Das sollte jedoch nicht die Erwartung wecken, ein Buch über die 80er Jahre zu lesen, denn das Buch spielt in der heutigen Zeit und vermittelt Hintergründe und Gegebenheiten durch Rückblicke.

"Baba Dunjas letzte Liebe" ist eine charmante kleine Geschichte mit skurrilen Charakteren über die Zufriedenheit mit dem eigenen Leben, selbst in einer angeblich lebensfeindlichen Umgebung.