Einfühlsam und berührend

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Baba Dunja lebt in Tschernowo, einem kleinen Dorf am Rande der Todeszone von Tschernobyl. Wer hierher kommt, trägt in der Regel einen Schutzanzug und einen Geigerzähler. Doch einige Menschen sind in ihre Heimat zurückgekehrt und leben zufrieden mit dem, was das verstrahlte Land hergibt. Das Wasser kommt aus dem Brunnen, Strom gibt es per Zufallsprinzip und das Gemüse gedeiht prächtig. Nur die Spinnen weben merkwürdige Netze und die Vögel singen lauter als anderswo. Die Menschen, die in dem kleinen, dem Verfall preisgegebenen Dorf wohnen, haben einen Grund, den Rest ihres Lebens hier zu verbringen. Doch wenn dann jemand kommt und ein Kind nach Tschernowo bringt, dann müssen schon mal drastischere Maßnahmen her.

Alina Bronsky lässt ihre Ich-Erzählerin Baba Dunja fast schon lakonisch das Leben in dem kleinen Dorf beschreiben. Mit Humor betrachtet Dunja ihre Mitmenschen und das Leben in der Todeszone und trifft dabei oft mitten ins Herz. Was mich an dieser Frau so mitreißt ist wohl die Art, wie sie am Ende ihres Lebens ihren Platz gefunden hat. Sie hat alles losgelassen, was sie zum Überleben nicht braucht und entscheidet völlig autark. Nur zu ihrer Tochter in Deutschland hält sie ein dünnes Band. Die Fahrten in die Stadt Malyschi, um Pakete abzuholen und vor allem die immer wieder gelesenen Briefe geben Dunja Halt. Der Gedanke an die ferne Enkelin, die sie nie gesehen hat, macht Dunja Freude.

Baba Dunja hat Prinzipien, für die sie einsteht. Als alter Frau sieht man ihr Einiges nach, so dass sie das Alter zu ihrem Vorteil zu nutzen weiß. Mit ihrem manchmal auch unfreiwilligen Humor und viel Herz meistert sie das Leben und zieht so alle Dorfbewohner nicht nur auf ihre Seite, sondern manchmal auch aus dem Sumpf des Lebens.

Alina Bronsky gelingt es auf wenigen Seiten mit ihrer klaren Sprache und wenigen Worten ausdrucksvolle Bilder zu zaubern. Es entsteht ein eindrucksvolles Bild der Rückkehrer, die es tatsächlich gibt. Zu ihrem Buch wurde Alina Bronsky eben auch durch einen solchen Bericht inspiriert. Manches bliebt in dem kurzen Roman ungesagt. Nicht alles ist immer nachvollziehbar und die mystische Komponente mit der Geisterwelt ist manchmal verstörend, vielleicht aber auch ein Mittel, um aufzuzeigen, dass das Leben in der Todeszone unwirklich ist und bleibt.

Meiner Meinung nach hat es „Baba Dunja“ zu Recht auf der Longlist des deutschen Buchpreises geschafft und wäre auch des Preises würdig gewesen. Ein wundervolles Buch, das berührt und zum Nachdenken anregt.

© Tintenhain