Lebenswege
Der Roman erzählt die Geschichte des entführten Mädchens Ruthie aus zwei unterschiedlichen personalen Perspektiven, ihrer eigenen und der ihres Bruders Joe. Im Prolog erfahren wir, dass Joe, nun 56-jährig, im Sterben liegt und sich an die Zeit zurückerinnert, die zwischen Ruthies Verschwinden und der jetzigen liegt. Hier wird bereits offenbart, dass ein Wiedersehen nach nun 50 Jahren bevorsteht.
Zu Beginn des Buches wird deutlich, wie ‚die Weißen‘ auf die ‚Indianer‘ herabschauen, sie als minderwertig betrachten. Ruthies Mi’kmaq Familie reiste zum Beerenpflücken aus Nova Scotia nach Maine, um dort Geld zu verdienen. Am Rande erfahren die Leser/innen von Indianerbeauftragten, Internaten für Indianerkinder und davon, wie die Landbesitzer von den Saisonkräften und ihrer vermuteten Unempfindlichkeit gegen Kriebelmücken profitieren: Diesen Menschen wird Empfindsamkeit abgesprochen, in physischer wie psychischer Hinsicht.
Als Ruthie vierjährig verschwindet, sucht die Familie sechs Wochen lang nach der Kleinen, immer wieder durchkämmen sie den Wald und das Gelände, rufen sie, sind verzweifelt. Schließlich müssen sie zurück. Das Mädchen wächst, nachdem sie entführt wurde, bei einem weißen Ehepaar an einem anderen Ort als Norma auf.
Norma berichtet, wie Joe, rückblickend. Zunächst erfahren wir, dass sie als Kind Träume hatte, die eigentlich die Wahrheit offenbarten, was ihr aber nicht bewusst wurde. Sie träumte von der Zeit in Maine, von einem Bruder, erfand eine Freundin namens Ruthie. Von Anfang an wird klar, dass Norma und Ruthie identisch sind. Ihre psychisch labile ‚Mutter‘ Lenore hatte einige Fehlgeburten und Ruthie, die auf einem Stein saß und auf ihre Familie wartete, einfach mitgenommen. Der Ehemann, ein Richter, deckte seine Frau und versuchte, Norma ein guter Vater zu sein. Bei ihren Fragen wirkte er jedoch gequält und unsicher. Sie hatte nicht die gleichen Freiheiten wie die Kinder gleichen Alters, wurde sehr abgeschirmt und quasi bewacht. Beim Heranwachsen bemerkte sie die vielen Ungereimtheiten in ihrem Leben und schob sie irgendwann darauf, offenbar adoptiert worden zu sein.
Ruthie/Norma lernte, ihre vorgeblichen Eltern zu lieben, übernahm aber Lenores Trauma und hatte nach einer Fehlgeburt Angst, das gleiche durchzumachen wie sie. Es gelingt ihr nie, stabile Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen, Freundschaften kann sie nicht halten, ihre Ehe scheitert. Beruflich ist sie durchaus erfolgreich, sie kann studieren und findet eine gute Anstellung. Dass ihr Leben ein falsches war, die Ungeheuerlichkeit der Wahrheit, erfährt sie erst nach Lenores Tod. Sie sucht ihre eigentliche Familie und findet am Ende die, die noch da sind. Sie haben die Hoffnung nie aufgegeben, dass Ruthie lebt.
Joe fühlt sich mitschuldig am Verschwinden von Ruthie, war er doch der letzte, der sie gesehen hatte. Er vermisst seine kleine Schwester, sein Leben wird fortan geprägt von Wut und Unstetigkeit. Auch er kann kein gelingendes Leben mit stabilen sozialen Beziehungen führen.
Die Spannung des Buches besteht darin, die verschiedenen Lebenswege zu verfolgen und zu erfahren, wie es den Menschen ergangen ist und wie es zu der angedeuteten Wiedervereinigung kommen wird. Es gibt aber einige Längen – zu oft werden Normas Träume thematisiert, wird geschildert, wie versucht wird, ihr verharmlosende Deutungen nahezulegen. Strukturiert ist das Buch durch die abwechselnden Erzählungen von Norma und Joe, deren Lebenswege wir verfolgen. Sprachlich kann das Werk durchaus überzeugen, es wurde von Brigitte Jakobeit sorgfältig übersetzt. Was unangenehm auffällt: Wer spricht heute noch von Indianern? Hier wäre es an Amanda Peters gewesen, diesen kolonialen Begriff zumindest zu problematisieren, auch wenn die erzählte Zeit so weit zurückreicht, dass dies noch nicht zentral thematisiert wurde.
Zu Beginn des Buches wird deutlich, wie ‚die Weißen‘ auf die ‚Indianer‘ herabschauen, sie als minderwertig betrachten. Ruthies Mi’kmaq Familie reiste zum Beerenpflücken aus Nova Scotia nach Maine, um dort Geld zu verdienen. Am Rande erfahren die Leser/innen von Indianerbeauftragten, Internaten für Indianerkinder und davon, wie die Landbesitzer von den Saisonkräften und ihrer vermuteten Unempfindlichkeit gegen Kriebelmücken profitieren: Diesen Menschen wird Empfindsamkeit abgesprochen, in physischer wie psychischer Hinsicht.
Als Ruthie vierjährig verschwindet, sucht die Familie sechs Wochen lang nach der Kleinen, immer wieder durchkämmen sie den Wald und das Gelände, rufen sie, sind verzweifelt. Schließlich müssen sie zurück. Das Mädchen wächst, nachdem sie entführt wurde, bei einem weißen Ehepaar an einem anderen Ort als Norma auf.
Norma berichtet, wie Joe, rückblickend. Zunächst erfahren wir, dass sie als Kind Träume hatte, die eigentlich die Wahrheit offenbarten, was ihr aber nicht bewusst wurde. Sie träumte von der Zeit in Maine, von einem Bruder, erfand eine Freundin namens Ruthie. Von Anfang an wird klar, dass Norma und Ruthie identisch sind. Ihre psychisch labile ‚Mutter‘ Lenore hatte einige Fehlgeburten und Ruthie, die auf einem Stein saß und auf ihre Familie wartete, einfach mitgenommen. Der Ehemann, ein Richter, deckte seine Frau und versuchte, Norma ein guter Vater zu sein. Bei ihren Fragen wirkte er jedoch gequält und unsicher. Sie hatte nicht die gleichen Freiheiten wie die Kinder gleichen Alters, wurde sehr abgeschirmt und quasi bewacht. Beim Heranwachsen bemerkte sie die vielen Ungereimtheiten in ihrem Leben und schob sie irgendwann darauf, offenbar adoptiert worden zu sein.
Ruthie/Norma lernte, ihre vorgeblichen Eltern zu lieben, übernahm aber Lenores Trauma und hatte nach einer Fehlgeburt Angst, das gleiche durchzumachen wie sie. Es gelingt ihr nie, stabile Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen, Freundschaften kann sie nicht halten, ihre Ehe scheitert. Beruflich ist sie durchaus erfolgreich, sie kann studieren und findet eine gute Anstellung. Dass ihr Leben ein falsches war, die Ungeheuerlichkeit der Wahrheit, erfährt sie erst nach Lenores Tod. Sie sucht ihre eigentliche Familie und findet am Ende die, die noch da sind. Sie haben die Hoffnung nie aufgegeben, dass Ruthie lebt.
Joe fühlt sich mitschuldig am Verschwinden von Ruthie, war er doch der letzte, der sie gesehen hatte. Er vermisst seine kleine Schwester, sein Leben wird fortan geprägt von Wut und Unstetigkeit. Auch er kann kein gelingendes Leben mit stabilen sozialen Beziehungen führen.
Die Spannung des Buches besteht darin, die verschiedenen Lebenswege zu verfolgen und zu erfahren, wie es den Menschen ergangen ist und wie es zu der angedeuteten Wiedervereinigung kommen wird. Es gibt aber einige Längen – zu oft werden Normas Träume thematisiert, wird geschildert, wie versucht wird, ihr verharmlosende Deutungen nahezulegen. Strukturiert ist das Buch durch die abwechselnden Erzählungen von Norma und Joe, deren Lebenswege wir verfolgen. Sprachlich kann das Werk durchaus überzeugen, es wurde von Brigitte Jakobeit sorgfältig übersetzt. Was unangenehm auffällt: Wer spricht heute noch von Indianern? Hier wäre es an Amanda Peters gewesen, diesen kolonialen Begriff zumindest zu problematisieren, auch wenn die erzählte Zeit so weit zurückreicht, dass dies noch nicht zentral thematisiert wurde.