Überraschungshighlight

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anna.liest Avatar

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Amanda Peters, "Beeren pflücken", übersetzt von Brigitte Jakobeit

Inhalt: In den 1960er Jahren verschwindet während der Blaubeerernte in Maine die vierjährige Ruthie, jüngste Tochter einer indigenen Mi'kmaq Familie aus Nova Scotia, Kanada. Ihr damals sechsjähriger Bruder Joe ist der letzte der sie leben gesehen hat. Vorwürfe und Schuldgefühle werden ihn deshalb sein ganzes weiteres Leben begleiten, auch als die Familie nach Kanada zurückkehrt, jedoch nie aufhört nach Ruthie zu suchen.
Einige Kilometer von den Blaubeerfeldern entfernt wächst Norma als Einzelkind ihrer überbehütenden Eltern auf, sie wird erdrückt mit der Fürsorge und den Ängsten ihrer Mutter und gleichzeitig von ihr alleine gelassen mit ihren Alpträumen und dem diffusen Gefühl dass etwas mit ihr nicht stimmt.

Wer jetzt eins und eins zusammenzählt und davon ausgeht dass Norma die verschwundene Ruthie ist liegt damit ganz richtig. Das ist kein Spoiler sondern wird direkt auf den ersten Seiten deutlich. Es geht also im Plot nicht um einen Kriminalfall oder um eine große Überraschung sondern darum wie das Leben von Joe und Norma unabhängig voneinander verlaufen ist und wie sehr die Geister der Vergangenheit einen Menschen prägen können. Immer wieder stellt sich die Frage wie die Leben mehrerer Menschen wahrscheinlich anders verlaufen wären wenn nicht ein einziger Moment alles verändert hätte.

Alle Beteiligten versuchen auf ihre eigene Art mit dem Verlust und den vielen offenen Fragen umzugehen. Vor allem Joe stürzt völlig ab, sucht Erlösung und Vergebung in Einsamkeit, Alkohol und der Distanz zu seiner Familie. Das ist bedrückend und schmerzhaft mitzuerleben. Genauso wie das Wissen dass Ruthies komplette Identität, ihre Kultur, Wurzeln, Sprache durch eine Lüge ausgelöscht werden als hätte es sie nie gegeben.

Es geht in "Beeren pflücken" viel um Verlust und Schmerz aber auch um die Suche nach Liebe und Zugehörigkeit, nach dem tief im Menschen verwurzelten Bedürfnis zu wissen wo man hingehört und um die immerwährende Hoffnung irgendwann Antworten zu finden.

Ein Roman der mir zuerst wegen dem wunderschönen Cover aufgefallen ist, der mich dann aber tief berührt und nachdenklich gestimmt hat.