Verlust, Schuld und die Suche nach Wahrheit

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nina2401 Avatar

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Im Mittelpunkt dieser tragischen Geschichte stehen 2 Kinder, die ich bis ins hohe Erwachsenenalter begleite. Im Juli 1962 reist eine indigene Mi'kmaq-Familie aus Nova Scotia in das amerikanische Maine, um wie immer den Sommer über Blaubeeren zu pflücken. Während dieser scheinbar friedlichen Zeit verschwindet die vierjährige Ruthie spurlos. Der letzte Mensch, der sie sieht, ist ihr älterer Bruder Joe. Der Verlust erschüttert die Familie bis ins Mark und bleibt fast fünf Jahrzehnte lang ein ungelöstes Rätsel.

Parallel dazu verfolge ich das Leben von Norma, die als Einzelkind in wohlhabenden Verhältnissen in Maine aufwächst. Sie leidet unter der übergriffigen Fürsorge ihrer Mutter. Immer wieder wird sie von unerklärlichen Träumen heimgesucht, die sich wie Splitter einer verlorenen Erinnerung anfühlen. Mit dem Erwachsenwerden wächst in ihr das Gefühl, dass ihre Eltern ihr ein entscheidendes Geheimnis vorenthalten.

Die Kapitel wechseln ab zwischen Joes und Normas Perspektive. Während Joe von Schuldgefühlen und der Suche nach Erlösung gezeichnet ist, kämpft Norma um Selbstbestimmung und die Wahrheit über ihre Herkunft. Ihre Geschichten laufen lange Zeit parallel, bevor sie sich – ganz allmählich und doch unausweichlich – miteinander verweben.

Die Sprache von Amanda Peters ist klar und sehr empathisch. Bei vielen Sätzen muss inne halten und ich habe einige Lieblingssätze markiert.

Die Figuren sind sehr vielschichtig angelegt. Sie durchleben sehr viele Emotionen und Amanda Peters schildert diese Gefühle sehr einfühlsam und anschaulich.
Die zentralen Themen sind Identität, Zugehörigkeit und der Umgang mit Schuld. Joe verkörpert die Unfähigkeit, loszulassen und sich selbst zu verzeihen. Norma hingegen steht für die Hoffnung, dass die Wahrheit – so schmerzhaft sie auch sein mag – letztlich befreiend wirkt.

Ein weiteres Thema ist das Schweigen. Familiengeheimnisse und das Nichterzählen bestimmter Wahrheiten prägen das Leben der Figuren oft mehr als die ausgesprochenen Worte. Es ist ein Schweigen, das trennt, aber auch eines, das schützen will.

Amanda Peters versteht es, die Spannung beständig zu halten. Ich ahne früh, dass Joes und Normas Geschichten miteinander verbunden sind, aber die Autorin lässt sich Zeit mit der Auflösung. Erst spät im Buch erfahre ich, was wirklich mit Ruthie geschah und wie tief die Wunden sind, die ein solcher Verlust hinterlässt. „Beeren pflücken“ ist ein bewegender Roman, der lange nachhallt.