Roman-Biographie

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singstar72 Avatar

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Befreit

Diese Leseprobe hat mich durch und durch begeistert! Ich hatte mit einem recht nüchternen Sachbuch gerechnet; so etwas kennt man doch – Berichte von Aussteigern aus religiös extremen Strömungen. Doch weit gefehlt. Die Leseprobe war erfreulich lang, und bot einen guten Einblick in die Erzählweise. Es ist eigentlich ein Mittelding zwischen Roman und Sachbuch. Und das hat mir sehr gut gefallen!

Erstens einmal war die Chronologie aufgebrochen. Die Autorin beginnt nicht mit ihrer Geburt – sondern mit der Landschaft, in der sie aufwuchs. Sie lässt sich von Motiven und Assoziationen leiten. Die Landschaft hat die Menschen geprägt, die in ihr leben.

Sie gleitet unmerklich über zum Leben ihrer Mutter, die – halb aus finanzieller Not, halb aus eigenem Antrieb – ungelernte Hebamme wird. Eine gewagte Tat für eine Frau, die nicht einmal krankenversichert ist! Man merkt eindeutig, dass die Mutter die Heldin der Autorin ist. Nicht der Vater. Der wird als sehr gebrochen und zwiespältig geschildert.

Ein nächstes Motiv ist die Ehe ihrer Eltern. Beide waren von Anfang an Mormonen, wie es scheint. Dennoch war die Großmutter mit der Wahl ihrer Tochter nicht einverstanden, da der junge Bräutigam ein „Hardliner“ war. Die Autorin schildert hierbei glaubhaft, wie sich die Familiensituation erst im Laufe der Zeit verschärft hat. Nicht immer fehlten die Geburtsurkunden! Nicht immer wurden Lebensmittel gehortet, oder „der Ernstfall geprobt“. Allerdings kann die Autorin erst aus heutiger Sicht sagen, dass es sich bei ihrem Vater wohl um den Ausbruch einer psychischen Störung gehandelt haben muss. Das hat mir wiederum sehr gefallen, weil die Religion in diesem Buch eben nicht an sich verteufelt wird. Nein, es sind immer einzelne Menschen, die sie für sich auslegen.

Das Thema Bildung ist in diesem Ausschnitt erst am Rande aufgetaucht. Auch das finde ich glaubhaft. Ich finde Biographien übertrieben, die alles so schildern, als habe man von Anfang an auf ein Ziel hin gearbeitet. Nein, hier merkt man, dass das Kind an seiner Umgebung und seinen engsten Bezugspersonen durchaus gehangen hat. Erst allmählich hat sich eine andere Sicht durchgesetzt.

Vollends begeistert hat mich die Sprache! Die Natur ist wunderschön beschrieben. Und auch in der Charakterisierung der Menschen finden sich Passagen, die man sich am liebsten abschreiben möchte. Ich frage mich durchaus, ob das Ausbrechen der Autorin aus ihrem heimatlichen Kontext wirklich ein Gewinn war… Sicher hätte sie nicht so schreiben können, hätte sie nicht viele Jahre eng an der Natur und am Zyklus des Lebens verbracht. Ich würde dieses Buch sehr, sehr gerne lesen!