Berührende Mutter Tochter Geschichte

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lunama Avatar

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Silvia ist 33 und hat gerade ihre Tochter Hannah bekommen. Dadurch verspürt sie den Wunsch, ihre eigene Mutter nach Jahrzehnten langen sporadischen und notdürftigen Kontakt wiederzusehen, um vielleicht auch einiges mit ihr und auch mit ihrer Vergangenheit zu klären. Sie klaut von ihrem Mit WG Bewohner ein Auto und macht sich mit der kleinen Hannah von Berlin aus auf den Weg in ihre schwäbische Heimatstadt Ildingen.
Ihre Mutter und jetzt Oma Evelyn reagiert aber zunächst doch ganz anders als Silvia erwartet hat.

Die Geschichte spielt auf zwei Zeitebenen. Silvia fährt ein paar Monate vor der Wende von Berlin aus nach Ildingen, während Evelyns Geschichte in den 1950er Jahren anfängt. Ich fand die beiden Lebensgeschichten sehr fesselnd, mit viel Gespür und Sympathie beschrieben. Ich habe mit Silvia, aber auch mit Evelyn mitgelitten, so einige Sachen haben mich sehr berührt, weil ich manches so gut nachvollziehen konnte.
Ob es die unterschiedlichen, teilweise zwiespältigen Gefühle waren, der Wunsch, sich zu verwirklichen, oder dieses Gefühl, in der Zeit und Situation gefangen zu sein.
Der Zeitgeist wurde auf beiden Ebenen wie ich finde sehr gut eingefangen, liebevolle Details wie die Musik, der Dialekt, die Art des Musikhörens, Fernsehsendungen, selbst die Wahl des Essens und ihrer Zubereitung, die Kosmetik haben mich wirklich immer schmunzeln lassen. Und oft kam mir der Gedanke, ja, genau so war es! Ich habe mich da total wiedergefunden.

Die anderen Charaktere fand ich ebenfalls wunderbar ausgearbeitet. Der Nachbar Rüdiger, die ehemalige Schulkameradin von Silvia, die Monika, der Ehemann von Evelyn, Karl und natürlich Tante Betti, die übriggebliebene, nicht verheiratete Schwägerin von Evelyn, die äußerlich taff und cool und selbstständig scheint, aber auch ihr großes Päckchen zu tragen hat. Alle sind irgendwie auf ihre Weise gefangen, es ist so unheimlich still in Ildingen, weil so viele Dinge ungesagt bleiben, auch wenn natürlich viel getratscht wird.
Dabei empfand ich die Geschichte jetzt nicht nur traurig, wie schon beim Buch *junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid* hatte ich während des Hörens immer mal wieder ein leichtes hoffnungsfrohes Gefühl. Obwohl auch die Nachkriegszeit zur Sprache kommt. Bei ihr und auch natürlich je näher die Wende auf Silvias Zeitebene gerückt ist, hatte ich Gänsehaut.
Evelyn und Hannah spielen übrigens im eben genannten Buch eine große Rolle, jedoch kann man beide Bücher völlig unabhängig voneinander lesen. Tatsächlich habe ich oft gar nicht mehr daran gedacht, dass hier die beiden Charaktere Evelyn und Hannah schon im ersten Buch der Autorin eine große Rolle hatten, so sehr hat mich das Buch in den Bann gezogen.

Ich fand das Buch wunderbar, trotz schwieriger Themen und Verhältnissen hatte ich nicht das Gefühl, nur ein trauriges und „schweres“ Buch zu lesen, sondern fand es auch teilweise mit einer Leichtigkeit erzählt, mit einer Art, die jeden Charakter authentisch macht und Verständnis entgegenbringt, dass es einfach nur schön ist.
Das Ende hat mir total gut gefallen und es ist ein Buch, das ich bestimmt nicht so schnell vergessen werde und ich fand es auch ganz wunderbar gelesen!