Ein lesenswerter Histo-Roman mit Liebesgeschichte

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"Bergleuchten" heißt Karin Seemayers historischer Roman, der bei atb erscheint.

Göschenen, 1872: Helenes Vater transportiert als Fuhrhalter Waren mit Pferdefuhrwerken über den Gotthard, seine Tochter begleitet ihn häufig. Doch dann soll der Gotthard Tunnel gebaut werden, die Fuhrhalter fürchten um ihre Existenz und feinden die Bergleute an, die überwiegend aus Italien zum Arbeiten angeheuert werden. Sie brauchen Unterkünfte und Helenes Familie vermietet ein Zimmer an Piero, in den sich Helene verliebt. Doch diese Liebe hat keine Zukunft, denn Helenes Vater duldet diese Verbindung nicht. Die Arbeiten im Berg unter gefährlichen Bedingungen fordern den Mineuren alle Kraft ab und es kommt zu tragischen Unfällen und einigen Toten, auch Helene bangt mehrfach um Pieros Leben.

Karin Seemayer ist es wunderbar stimmungsvoll gelungen, die Arbeiten rund um den epischen Bau des Gotthard-Tunnels mit einer bitter-süßen Liebesgeschichte zu verbinden und das damalige Zeitgeschehen und die Probleme im Berg und im Dorf atmosphärisch darzustellen. Ganze 17 Kilometer Berg mussten über einen Zeitraum von acht Jahren für den Gotthard-Tunnel durch den Berg gebohrt werden, es war ein länderverbindendes, historisches Ereignis, dem die Einheimischen nicht unbedingt positiv gegenüber standen. Sie fürchteten sich vor dem Verlust ihrer Fuhrhaltereien und die große Menge an zugezogenen Italienern waren in den betroffenen Dörfern auch eine ungewohnte Situation, die eine Art Fremdenfeindlichkeit entstehen ließ.

Vor diesem historisch interessanten Bauvorhaben erzählt die Autorin die spannende Liebesgeschichte zwischen Helene und Piero und lässt die gesellschaftlichen Hürden deutlich werden, die dem Paar im Weg stehen. Diese Liebe wird zu keinem Zeitpunkt kitschig erzählt und es bleibt bis zum Ende spannend, wie diese Liebe verlaufen wird. Denn die Dorfbewohner verachten die Frauen, die Kontakt zu den Italienern haben und Helene weiß, dass ihre Eltern einer Ehe mit Piero niemals zustimmen würden.

Das Setting des Romans wird sehr bildhaft gezeigt, man kann sich die Szenerie im Berg gut vorstellen und bekommt einen deutlichen Eindruck davon, unter welch harten und gefährlichen Bedingungen sich die Menschen damals durch den Berg hauen mussten. Der Einsatz von Dynamit, der Bohrstaub und die giftigen Gase machten diese Arbeit zu einer lebensgefährlichen Sache, die vielen Arbeitern das Leben kosteten oder sie mit schweren Verletzungen zurückließen. Die mangelhafte Unterbringung und fehlende Hygiene erschwerte die Situation noch erheblich und so ist dieser Bau auch ein Bau unter Tränen und Schweiß.

Gleichzeitig wandert man mit Helene und Piero durch die wunderschöne Bergwelt, erlebt die Schneelandschaft im Winter, die blühenden Sommerwiesen, das Bergpanorama mit dem Bergleuchten und so bekommt die Geschichte neben der Entstehung des Bauwerks auch eine erzählerische und gefühlvolle Variante, die die Handlung perfekt abrundet.

Ihre Charaktere hat Karin Seemayer sehr lebendig angelegt, es sind facettenreiche Figuren entstanden, die die kulturellen Gewohnheiten der Italiener und die sozialen Lebensbedingungen der Dorfbewohner sehr gut beschreiben. Auch wird deutlich, wie der beschauliche Ort von den zahlreichen Arbeitern förmlich überrannt wurde und Marktstände und Gasthöfe nach italienischer Art entstanden, was das gewohnte Lebensgefühl sichtbar veränderte.

Diesen Roman habe ich aufgrund des interessanten Bauvorhabens und der widrigen Liebesgeschichte gespannt verfolgt. Den Figuren hat es ein wenig an Tiefe gefehlt, den Ausgang der Liebesgeschichte habe ich vorhergesehen, aber das Gesamtpaket hat mich gut unterhalten.

Ein lesenswerter Roman, der die schwierigen Umstände vom Bau des Gotthard-Tunnels und das Leben der Anwohner sichtbar macht.