Der schöne Schein: Über Selbstinszenierung und Anerkennung - 3⭐️

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downey_jr Avatar

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In Joana Junes Debutroman „Bestie“ sucht die Influencerin Anouk eine neue Mitbewohnerin. Hier sieht die eher unscheinbare Delia ihre Chance für einen Neubeginn. Sie erfindet sich neu als Lilly und wird mit dem neuen Namen tatsächlich die Mitbewonerin der Person, die sie schon länger auf Instagram bewundert. Kann auch Lilly damit selbstbewusster werden und ihren Traum erfüllen, Bühnenautorin zu werden?
Anouk wiederum glaubt, Lilly habe einen berühmten Vater (ein Missverständnis, welches Lilly nicht aufklärte) und sie könne ihr nützlich sein. Anouk lässt Lilly also immer mehr an ihrem Leben teilhaben, geht mit ihr Party machen, stellt ihr ihre Freundinnen vor - was in Lilly die Hoffnung auf eine enge Freundschaft mit Anouk verstärkt.

Ich muss sagen, dass ich an diesen Roman vielleicht die falschen Erwartunge hatte. Ich dachte, der Schwerpunkt läge mehr auf der Beziehung zwischen den beiden Frauen - dies hatte mir zumindest der Klappentext so suggeriert.

Ich kann jedoch keine wirklich enge Verbindung zwischen den beiden feststellen.
Lilly ist eine sehr unsichere Person, die verzweifelt nach Bestätigung und Liebe sucht. Anouk sucht nach Anerkennung und Erfolg - es scheint eine Zeitlang, als könnten sich die beiden etwas geben, aber eigentlich zeigt keine von ihnen, was sie wirklich denkt oder fühlt. So ist keine Verbindung möglich.

Das wiederum ist recht gut dargestellt von der Autorin: Die Oberflächlichkeit von Social Media, der „schöne Schein“, nichts ist echt, alles nur Fake - es ist eigentlich nur traurig und bedauernswert!

"Jetzt hängen alle an meinen Lippen, ausnahmslos, ganz unabhängig von Geschlecht, sozialer Stellung und Beziehungsstatus, wenn ich erwähne, mit wem ich meine Freizeit verbringe. Sobald der Name eines bekannten Musikers oder eine gehypten Influencerin fällt, ist das Interesse da. Und bleibt, bis abgetastet wurde, was ich meinem Gegenüber bieten kann. Es ist ein unausgesprochener Handel, bei dem es nie um meine Persönlichkeit geht. Nur um meine Funktion als Tür. Zu anderen Menschen, Reichweite, Sex und letzten Endes immer Geld. Ich hasse das, aber ich kann nichts daran ändern."

Auch dass sich alles nur ums Aussehen, den perfekten Look, den perfekten Körper dreht - ja, so mag es in gewissen (vielen?) Kreisen heutzutage sein, aber mir tun sie alle nur leid:

"Er sagt: 'Ich muss es dir einfach sage: Ich ich habe noch nie eine so natürlich schöne Frau wie dich gesehen.'
Ich muss mich anstrengen, weder zu lachen noch ihn von seiner bedauernswerten Illusion zu befreien: Wie kannst du das ernsthaft glauben? Mein Gesicht kostet mehrere tausend Euro, die ich mir über Jahre hinweg zusammengespart habe. Die Nase: 6500 Euro. Babybotox: 1350 Euro pro Jahr, Lipfiller: 1200 Euro pro Jahr. Meine Haare, meine Haut, meine Wimpern, meine Augenbrauen, meine Nägel: 550 Euro, jeden Monat. Und wenn ich an all die Schichten Make-up denke, die ihn von dem trennen, was von meiner natürlichen Schönheit übrig ist, muss ich die Rechnung aufgeben."

"Ich zahle den monatlichen Beitrag für die Dating-App für Kontakte [...]
Die App spiegelt nur die gesellschaftlichen Muster der realen Welt: Pretty Privilege und ein aufpolierter sozialer Lebenslauf sind entscheidend für meinen Erfolg, mein Aussehen und meine Kontakte wichtiger als alles, was ich geleistet habe."

Die Charaktere waren meiner Meinung nach recht authentisch dargestellt, aber es fehlte ihnen etwas an Tiefe. Lilly war für mich schwer zu fassen als Charakter, was vielleicht auch daran lag, dass sie ja eigentlich Delia ist; ihr wahres Wesen ist nicht richtig greifbar. Hier wäre es gut gewesen, etwas mehr über ihre Vergangenheit zu erfahren.

"Ich weiß schon jetzt nicht mehr, was ich ohne Social Media wäre. Jedenfalls wäre ich niemand, dem ich ein Like geben würde. Ich wäre nicht Lilly."

Der Schreibstil von Joana June ist sehr flüssig und gut lesbar. Dem Buch an sich fehlte für mich aber etwas an Tiefe. Es werden viele Themen aufgegriffen, vieles blieb mir aber zu oberflächlich.

Mein Fazit: Ein Debütroman, dessen Schreibstil ich weitgehend sehr gut fand, der mich inhaltlich aber nicht ganz abholen konnte.