unfassbar schön geschriebenes Debüt

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merleredbird Avatar

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Vielen Dank an Vorablesen und den pola Verlag, die mir ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt haben. Meine Meinung ist davon jedoch unabhängig.

Vorab: ich verfolge Joana schon sehr lange auf ihrer Reise zum Autorinnensein, und habe sie auch ein, zwei Mal auf Events persönlich getroffen. Ich schätze sie als Person wirklich sehr und habe mich einfach riesig gefreut, dass sie mit ihrem Debüt Bestie sich so einen großen Traum erfüllen kann. Ich versuche in meiner Rezension trotzdem, meine Meinung objektiv zu halten 😊.

„Manchmal wünschte ich, die Welt stünde Kopf, sodass ich aus ihr herausfallen könnte.“

Dieses Buch behandelt die ungleiche Beziehung zwischen Anouk und Delia/Lilly. Die beiden kommen in einer Wohngemeinschaft zusammen, und es wirkt, als könnten sie Freundinnen werden. Doch beide sind nicht ganz ehrlich und haben Hintergedanken. Delia gibt sich als erfolgreiche Autorin Lilly aus, die sich durch Anouks erfolgreiches Influencerdasein Kontakte erhofft. Und Anouk denkt, dass „Lilly“ einen berühmten Vater hat, der ihr helfen kann, ihren Traum von der Journalistenschule näher zu kommen. Die beiden Protagonistinnen sind sehr spannend, authentisch, vielschichtig und überzeugen mich in ihrer unperfekten Art mit Ecken und Kanten.

„Ich bin gern im Wasser, weil ich finde, dass man sich nirgends so gut vergisst.“

Ich habe selten ein Buch gelesen, was so toll geschrieben ist. Der Schreibstil von Joana ist gefühlvoll, poetisch, klug. Ich habe mir so viele Szenen markiert, die mir gefallen haben. Meine liebste Szene – und das klingt jetzt sicher absurd – ist die, in der Delia und Anouk in Kapitel 9 schwimmen sind. Diese Passage, als „Lilly“ durchs Becken schwimmt, fühle ich mich so verstanden, als würde Joana in meinen Kopf gucken können. Ich bin früher super viel geschwommen und habe es in diesem Sommer für mich wiederentdeckt, und da hat mich diese Szene einfach sehr berührt.
Generell gab es aber immer wieder Momente, wo so kluge Dinge standen; über das Frau-sein, über Träume, über Selbstbewusstsein.

„Als die Morgensonne ihre ersten Strahlen über das alte Parkett gießt, stehe ich an der Schwelle zum Traum und habe zum ersten Mal nicht das Bedürfnis, in ein anderes Leben einzutreten. Es reicht, von meinem eigenen zu Träumen.“

Zwischendrin geht es auch sehr viel ums Theater, und es ist sehr passend, dass das Buch in verschiedene Akte unterteilt ist sowie ein paar Interluden, die wie ein Theaterskript aufgebaut sind. Außerdem spielt das Stück „Die Möwe“ von Tschechow eine große Rolle in dem Buch, und man merkt, welche Bedeutung dieses Theaterstück für Joana hat. Ich bin ehrlich: ich kenne das Stück jetzt nicht, ich habe manche der Anspielungen und die Interludes nicht zu 100% verstanden – aber ich glaube es ging auch mehr um die Atmosphäre, und das war für mich stimmig. Weiterhin geht es natürlich viel um die Welt der Influencer und Selbstdarstellung, und dieses Themengebiet fand ich ebenfalls authentisch – erschreckend falsch – dargestellt. Manche Szenen gingen für mich schon fast in Richtung magischem Realismus, z.B. die mit dem Hund Grendel. Das wird nicht so richtig aufgeklärt, aber für mich passt dieses Zweideutige zum gesamten Ton des Buches. I mean, schon der Titel ist ein zweideutiges Wortspiel!

Ich glaube, der einzige Punkt, an dem ich mir noch etwas mehr gewünscht habe, war die Handlung. So hätte mich die Hintergrundgeschichte von Delia, die eher am Rand behandelt wird, sehr interessiert, während ich mir eher weniger von der Liebesgeschichte gelesen hätte.
Ich persönlich habe beim Lesen auch gedacht, dass es a) eine queere Liebesgeschichte wird oder b) Delia in eine leichte psychopathische Richtung geht und vollständig abdreht – hätte beides zur Atmosphäre der ersten Hälfte gepasst :D. Joana entscheidet sich für eine andere Richtung, die etwas in eine metaphorische Richtung geht, und mich am Ende mit ein paar Fragezeichen zurückgelassen hat, weil ich es etwas plötzlich und überraschend aufgelöst fand. Vielleicht muss ich das Buch auch nochmal lesen, und das Ende sacken lassen, um es besser zu verstehen.

Fazit: mit ihrem Debütroman zeigt Joana ihre Fähigkeiten als Schriftstellerin. Besonders ihr Schreibstil, als auch ihre Art, Charaktere und Orte zu erschaffen und zu beschreiben, sind mir sehr positiv aufgefallen. Sie nimmt Themen mit in ihre Bücher auf, die authentisch sind und zum Zahn der Zeit passen, ohne zu popkulturell aufgeladen zu sein. Handlungstechnisch hätte ich mir etwas mehr Wumms gewünscht. Aber: wenn ein Debüt schon so gut ist… dann ist die Welt nicht bereit für zukünftige Romane der Autorin, die können nur großartig werden.