Zwischen Schein und Sein

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karolina_hruskova Avatar

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Ich musste lange sacken lassen, wie krass mich »Bestie« abgeholt hat. Vor allem in der heutigen Zeit, in der der Fokus auf Oberflächlichkeiten wie Beauty, Interior und Influencer liegt, spricht »Bestie« stellenweise aus der Seele.

Anouk und Lilly verkörpern diese Welt auf ihre eigene Art perfekt. Alles dreht sich um Selbstinszenierung und Selbstdarstellung: Anouk lässt ihre Follower in dem Glauben, dass alles mühelos und makellos an ihr ist. Lilly ist so tief in ihren Selbstzweifeln verloren, dass sie sogar ein Alter Ego entwickelt, um Anouks Scheinwelt gerecht zu werden. Verblendet von dem, was Anouk die Welt sehen lässt, steigert sich Lilly immer mehr in das Bedürfnis, auf einer Ebene damit sein zu wollen.

Und das ist der Knackpunkt: Dieser Unterschied zwischen Schein und Sein hat mich extrem angesprochen. Beide Frauen sind relatable, denn sie treffen beide keine richtigen Entscheidungen, zweifeln an sich, stürzen ab, bauen Lügenkonstrukte auf und verlieren sich dabei. Nur hinter ihrer Fassade sind sie authentisch, verletzlich, wütend. Menschlich. Schnell bekommt das Wort Bestie eine ganz neue Bedeutung: Weg ist die beste Freundin, die sich langsam zu einer Bestie entwickelt hat. Pun included, ich mags sehr. Die Freundinnenschaft zwischen Anouk und Lilly ist bewegend und wirkt mit ihren vielen Fehlern einfach nur echt.

Joana June hat mit »Bestie« einen klugen Debütroman geschaffen, der mich in allen Aspekten voll und ganz angesprochen hat. Er transportiert Schmerz, Verletzlichkeit, Inszenierung und Selbstfindung mit starkem Ausdruck. Jedes einzelne Wort sitzt. Die Figuren sind nahbar, wie vertraute Menschen. »Bestie« ist eine Geschichte, die mich vollumfänglich eingenommen hat, als hätte sie mir eine gute Freundin erzählt - und ich will unbedingt mehr von »Bestie«, mehr von Joana June!