Angriff von Spigern und Teller-Ameisen

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Als Biologin, die davon träumt auf entlegenen Inseln bisher unentdeckte Pflanzenarten zu finden, wäre Nell sicher nicht kurz vor Einbruch der Abenddämmerung an Land gegangen. Doch das Team, das für die Fernsehshow Sealife mit einem Dreilkielgleiter unterwegs ist, hat sich nach Sendezeiten und Einschaltquoten zu richten. Sealife wird direkt übertragen. Henders Island, 1000km südsüdöstlich von der Insel Pitcairn gelegen, könnte seit 1791 nicht mehr von Menschen betreten worden sein. Damals setzte die HMS Retribution ein Boot aus, um auf der kleinen Insel die Wasservorräte des Schiffs aufzufüllen. Ein grauenhaftes Erlebnis lässt die Männer fluchtartig ins Boot zurückkehren, ohne ihren toten Kameraden zu bergen. Kapitän Henders kartiert das Inselchen und schwört seine Männer bei Androhung der Todesstrafe ein, kein Wort darüber zu verlieren, dass es hier Wasser gibt. 200 Jahre später betritt Nell eine Insel ohne Vögel, ohne Anzeichen von Leben.

 

Im Prolog erfuhren wir, wie Tierarten von einem Kontinent auf den anderen gelangen: Muscheln setzen sich in Ballasttanks von Schiffen fest, Ratten und Ameisen reisen an Bord von Schiffen, Treibholz kann mitsamt einem tierischen Passagier über weite Strecken schwimmen. Warren Fahy fabuliert die Geschichte der abseits aller Schifffahrtswege liegenden Henders Insel weiter. Was wäre, wenn sich ein unberührtes Ökosystem völlig anders als Flora und Fauna im Rest der Welt entwickelt hätte – und was wäre, wenn hier ein paar außergewöhnlich aggressive Arten leben würden?

 

Das Fernsehteam auf der Trident produziert eine Art Big-Brother-Show zur See, jede Minute an Bord wird von Kameras aufgezeichnet. Der Landgang zur besten Sendezeit läuft völlig aus dem Ruder. – Auf der Flucht vor dem Angriff eines büffelgroßen Tiers gelingen dem Kameramann nur ein paar unscharfe Aufnahmen. Der Angreifer ist ein Spiger, eine kräftige Raubkatze, die das Skelett eines Krebses mit der Sprungkraft der Katze kombiniert. Die Ereignisse auf der Insel stellen alles auf den Kopf, das man bisher über Krustentiere zu wissen glaubte. Als die Bilder in den USA dem pressescheuen Wissenschaftler Geoffrey gezeigt werden, ringt der sich ein höhnisches Schnauben ab - alles vom Fernsehen inszeniert. Doch Insidern wie Geoffrey liefern die verwischten Bilder einen Hinweis, dass sich die Ereignisse kein Fernsehteam ausgedacht haben kann. Während die US-Navy gerade einen Flugzeugträger in Marsch gesetzt hat, um die Insel unter Quarantäne zu stellen, will Cynthia, die Produzentin von Sealife, neue Aufnahmen von der Insel haben – koste es, was es wolle.

 

Mit schnellen Schnitten und der Anzeige der aktuellen Uhrzeit zu Beginn jedes Textabschnitts drückt Warren Fahy in seinem Öko-Thriller kräftig aufs Tempo. Der Prolog, eine Karte der Insel und Skizzen der Tiere lassen die Geschichte sehr glaubwürdig wirken. Selbst auf den möglichen Einwand, dass die mehr als unheimlichen Tierarten vermutlich nach kurzer Zeit schon ihre Insel kahl gefressen hätten, hält Fahy eine Antwort bereit. Bis auf Geoff, der über die wissenschaftlichen Grundlagen zu dozieren hat, bleiben die Figuren und ihre Beziehungen zueinander leider etwas blass. Ein spannender Roman in der Tradition von Jurassic Park, der Urängste weckt und mich beim Lesen keine Minute losgelassen hat.