Bittersüße Qualen.

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suewid Avatar

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Nach vielen wirklich schönen Zitaten aus dem Roman, fand ich den nachfolgenden für mich am prägendsten: „Es gibt in meinem Leben Dinge, die mir widerfahren sind oder die ich getan habe, die sich als Momente mit einem klaren Davor und Danach erwiesen. Einer dieser Momente, vielleicht sogar auf gewisse Weise der wichtigste, war der Tag, an dem ich Richard Aveling kennenlernte.“ Seite 27

In „Bittersüss“ ist Charlie die Protagonistin.
Sie ist jung, sympathisch, aber unsicher und kämpft mit inneren Dämonen.
Doch mit 23 Jahren scheint sie endlich angekommen zu sein. In ihren besten Freunden und Mitbewohnern Ophelia und Eddy, hat sie eine neue Wahlfamilie gefunden. In ihrem neuen Job als Presseassistentin bei einem renommierten Londoner Buchverlag scheint ihr die Welt offen zu stehen, und der Weg für eine steile Karriere scheint greifbar.
Als sie dann für den Autor Richard Aveling arbeiten soll, den sie als Mann wie auch als Schriftsteller im Stillen mit geradezu religiösem Eifer verehrt, geht ein Traum in Erfüllung.
Schnell entwickelt sich aus der Arbeitsbeziehung eine Affäre. Diese ist jedoch bald von einem toxischen Ungleichgewicht geprägt. Charlie, die nach Halt und Liebe sucht, ist dem 30 Jahre älteren und erfahreneren Richard in vielerlei Hinsicht nicht gewachsen.
Nach und nach isoliert er sie von ihren Freunden, zwingt sie zum Schweigen. Daraus entsteht ein geschicktes manipulatives Verhältnis, aus dem Charlie sich kaum befreien kann.


Die Autorin Hattie Williams war Jahre lang selbst in der Buchverlagsbranche tätig und konnte so selbst mit einigen großartigen Autor*innen zusammen arbeiten. Mit „Bittersüss“ legt sie nun ihr eigenes Debüt an den Tag und steht somit auf der anderen Seite des Verlagsgeschäfts.

Das Cover mit dem Gemälde einer jungen Frau zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Gerade durch das reduzierte Farbspektrum und den interessanten Titel, der durch seine Anordnung über Eck etwas doppeldeutiges hat.
Nach der Lektüre war ich positiv überrascht, wie geschickt die Autorin verschiedene Themen miteinander verbindet, ohne den Roman zu überladen.
Wie zum Beispiel das deutliche Machtgefälle, zwischen Männern und Frauen. Aber auch das Thema wie physische und psychische Gesundheit, war sehr realitätsnah dargestellt wird.

Ganz deutlich steht natürlich die toxische Beziehungen und deren Folgen im Vordergrund, was meiner Meinung nach sehr gut herausgearbeitet war.
Für mich persönlich war jedoch die Freundschaft zwischen Charlie und Ophelia der wahre Star der Geschichte.
Auch diese Beziehung hat ihre Höhen und Tiefen, doch die Autorin verliert sich nie in kitschigen oder unrealistischen Situationen. Sie erschafft Szenen, die sich so echt anfühlen, dass sie fast autobiografisch erscheinen.
Insgesamt konnte mich das Buch vor allem durch seine starken weiblichen Charaktere und das Female Empowerment begeistern, das zu keinem Zeitpunkt erzwungen wirkt.
Die Autorin hat es außerdem geschafft, mit Richard einen komplexen Antagonisten zu erschaffen, der keine eindimensionale Figur ist. Er ist ein hoch charismatischer Charakter, der durch seine Egozentrik in sich selbst gefangen wirkt. Dadurch war er für mich nicht immer eindeutig als „der Böse“ greifbar, da man auch seine Zerrissenheit nachvollziehen konnte – ohne mit ihm zu sympathisieren.


Zusammenfassend konnte mich die Geschichte vor allem durch den sehr angenehmen Schreibstil überzeugen, welche durch tiefgehende und eindrucksvolle Beschreibungen noch mehr emotionalen Tiefgang erhielt.
Es war ein faszinierendes Leseerlebnis, das vom Anfang bis zum kathartischen Ende äußerst gelungen war.
Dieses Buch kann ich nur jedem Lesenden empfehlen, der abseits von Cosy-Romanen etwas erfrischend athenisches sucht, ohne das es sich dabei voyeuristisch anfühlt.