Ich bleibe im Zwiespalt zurück…

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hundenaerrin Avatar

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Alexis wächst in einer Welt auf, in der blutrünstige Titanen Menschen angreifen und die Götter selbst miteinander im Krieg liegen und sich nicht für die Menschen und deren Belange interessieren. Alexis lebt mit ihrem Pflegebruder Charlie bei Pflegeeltern, die nicht nur drogenabhängig sind, sondern ihre Pflegekinder auch mittels körperlicher Gewalt erziehen. Nachdem die Mutter bei einem Angriff ums Leben kommt und der Vater dafür verhaftet wird, leben Alexis und Charlie auf der Straße. Sie schafft es dennoch, die Schule zu beenden und wird bei ihrem Abschlusstest durch einen Blutnachweis als „Mischblut“ eines Spartaners identifiziert. Alle Abkömmlinge eines spartanischen Hauses müssen sich mit 19 Jahren zunächst einem Kampf auf Leben und Tod im Kolosseum in den Dolomiten stellen, und nur die überlebenden zehn Spartaner dürfen sich der Feuerprobe stellen. Nie musste Alexis härter um ihr Leben kämpfen als jetzt…
Ich musste die Geschichte etwas sacken lassen, bevor ich meine Rezension schreiben konnte. Denn sie ist intensiv, erschütternd, aufwühlend, brutal, leiderfüllt, aber auch auf ihre eigene Art sarkastisch und witzig. Dennoch konnte sie mich nicht vollends überzeugen. Und das hat folgende Gründe:
ACHTUNG SPOILER!
1. Genremäßig würde ich es im Bereich Dystopie und Fantasy einordnen, mit kleinen Einschlägen von Dark Academia, aber auf gar keinen Fall in irgendeiner Weise im Romance Bereich! Nichts könnte ferner sein als der Liebesbegriff in dieser Geschichte…
2. Die Tropes, die der Verlag hier zuordnet, passen für mich auch nicht so recht. „Reverse Harem“ sehe ich zum Beispiel nicht, da es für mich eine bewusste Entscheidung für eine romantische Beziehung mit mehreren Männern beinhaltet. Alexis hat hier jedoch nie ein Mitspracherecht, wer ihr – auf völlig verquere und nahezu krankhafte Weise – den Hof macht. Es ist also alles andere als auf Freiwilligkeit und eigenem Willen basierend, was für mich das Trope des „Reverse Harem“ ausmacht. „Dark Reverse Harem“ könnte ich noch etwas nachvollziehen, wobei auch hier der Romantik-Aspekt nicht gegeben ist. Und „Morally Grey“ ist der Love Interest auch nicht mehr, eher pechschwarz mit lauter Red Flags auf den Körper tätowiert…
3. Das Ausmaß an Misogynie in dieser Geschichte und die Menge an Red Flags sind für mich kaum auszuhalten. Hier wird eine toxische Männlichkeit dargestellt, die selbst für die Dark-Genres echt zu viel ist. Bis auf zwei Beziehungen sind alle im Buch aufgezeigten Verbindungen in irgendeiner Form toxisch. Die (Gewalt-)Fantasie in Verbindung mit Frauen, die hier immer als schwach und minderwertig dargestellt werden, sind grenzwertig, wie ich finde – auch, wenn es der Protagonistin mehr oder weniger gefällt. Man mag von patriarchalen Strukturen mit veralteten Gesellschaftsauffassungen und Bevormundung von Frauen halten, was man möchte, aber mir war es hier schlicht und ergreifend zu viel. Es geht recht derb und brutal zu, stellenweise wird sogar eine Art Freude am Töten bzw. Verletzen deutlich.
4. Das hier als Vorlage verwendete antike Götterpersonal hat kaum etwas mit den historischen griechischen Göttern zu tun. Dessen sollte man sich bewusst sein und sich frei von bereits bekanntem Wissen dazu machen, denn sonst tut man sich schwer, in die Geschichte hineinzufinden. Jedenfalls ging es mir so.
5. Die Protagonistin Alexis hat mir vom Grundgerüst her gefallen. Sie ist loyal ihrem Bruder gegenüber, sie ist zäh, erfinderisch, zielstrebig, zeitgleich aber auch psychisch und physisch fragil, traumatisiert (was kein Wunder ist bei der Kindheit) und ja, vielleicht auch suizidgefährdet. Aber die Kombination aus allem lässt sie sehr authentisch wirken, ich konnte mich mehrmals gut in sie hineinfühlen. Alles, was sie am Leben hält, ist ihr Wille und ihr Zynismus, mit dem sie hin und wieder für Lacher gesorgt hat. Was mich jedoch durchgängig störte – und das ist ein generelles Problem dieser Geschichte, ohne das das Konzept der Autorin jedoch wohl auch nicht aufgehen würde – ist der Mangel an Kommunikation. Alexis hätte so viele Situationen auflösen können, wenn sie nur einmal ihre Gedanken laut ausgesprochen hätte! Das hat mich zur Weißglut getrieben… So wirkte sie leider oftmals wie ein verhuschtes, verschüchtertes kleines Mädchen, dass Angst vor Männern hat – was nicht ferner von der Realität sein könnte! Sehr schade…
6. Die Menge an Leerstellen in diesem Buch hat mich teilweise gestört. Zum Beispiel Alexis‘ blindes Auge: Sie wurde mehrfach von Ärzten untersucht, aber keiner hat herausgefunden, dass sie links blind und gehörlos ist? Niemand hat sie auf die Geräusche angesprochen, die sie von sich gegeben haben muss, wenn sie mit ihrer Schlange Nyx gesprochen hat? Außerdem kam es durch das vermehrte Auftreten von Zeitsprüngen durch Ohnmachten oder Blackouts von Alexis zu einer Zeitraffung, die unnötig gewesen wären, wenn es im Feuerprobenalltag mehr Abwechslung gegeben hätte. Stellenweise gab es wirklich Längen in der Geschichte durch Wiederholungen und immer gleiche Abläufe.
7. Der letzte Kritikpunkt richtet sich mehr an den Verlag als an die Geschichte an sich, denn die Menge an Rechtschreibfehlern, die nicht aufgefallen sind, sind wohl eher einer Ungenauigkeit im Lektorat geschuldet.
Positiv hervorheben möchte ich jedoch den Schreibstil der Autorin, denn die 600 Seiten lasen sich zügig und trotz meiner Kritikpunkte fesselnd durch. Bei der Covergestaltung könnte man Verbesserungen vornehmen, die dem Inhalt etwas gerechter werden, aber das stört mich nur zweitrangig.
Ich bin dennoch gespannt auf den zweiten Band, will ich doch schließlich wissen, wie es Alexis weiter ergeht!